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Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mußte, er könnte ersticken.
    »Ich habe dir gesagt, du würdest es nicht verstehen; es würde dir nicht gefallen«, sagte er. »Die Gründe für das Verhalten der Krieger sind oft ganz einfach. Aber ihr Verhalten selbst ist kompliziert. Für einen Krieger ist es eine große Chance, wenn er sich - seinen innersten Gefühlen zum Trotz - makellos verhalten kann. Du schenkst mir diese große Chance. Die Möglichkeit, dir makellos und kostenlos etwas wiederzugeben, macht mich jung und erneuert mein Staunen. Wirklich, was ich aus unserer Verbindung bekomme, ist sehr wertvoll für mich. Ich bin dir zu Dank verpflichtet.«
    Seine Augen funkelten, als er mich anschaute - doch diesmal ganz ohne Bosheit.
    Don Juan versuchte mir zu erklären, was er mit mir gemacht hatte.
    »Ich bin der Nagual. Durch das Leuchten meiner Augen habe ich deinen Montagepunkt bewegt«, sagte er in ganz beiläufigem Ton. »Die Augen eines Nagual können dies. Es ist nicht schwer. Die Augen aller Lebewesen können den Montagepunkt eines anderen bewegen. Vor allem, wenn ihre Augen auf die Absicht gerichtet sind. Unter normalen Umständen sind die Augen der Menschen auf die Welt gerichtet. Sie sind auf der Suche nach Nahrung ..., auf der Suche nach Obdach ...«
    Er stieß mich gegen die Rippen.
    »Auf der Suche nach Liebe«, fügte er hinzu und lachte schallend.
    Don Juan hänselte mich oft wegen meiner »Suche nach Liebe«. Niemals verzieh er mir meine naive Antwort, die ich ihm gab, als er mich einmal fragte, wonach ich eigentlich im Leben suche. Er hatte mich zu dem Eingeständnis bringen wollen, daß ich kein klares Ziel vor Augen hätte. Er brüllte vor Lachen, als ich treuherzig erzählte, ich sei auf der Suche nach Liebe.
    »Ein guter Jäger kann seine Beute mit den Augen hypnotisieren«, fuhr er fort. »Mit seinem Blick bewegt er den Montagepunkt seiner Beute, und doch bleiben seine Augen auf die Welt gerichtet. Sie sind auf der Suche nach Nahrung.«
    Ich fragte, ob die Zauberer andere Menschen mit ihrem Blick hypnotisieren könnten. Kichernd meinte er, ich wolle wahrscheinlich erfahren, ob ich Frauen mit meinem Blick hypnotisieren könnte - trotz der Tatsache, daß meine Augen auf die Welt gerichtet seien, auf der Suche nach Liebe!
    Aber die Zauberer hätten ein Sicherheitsventil, fügte er ernster hinzu. Wenn ihre Augen tatsächlich auf die Absicht gerichtet seien, hätten sie kein Interesse mehr, irgend jemanden zu hypnotisieren.
    »Damit die Zauberer das Leuchten ihrer Augen einsetzen können, um den eigenen Montagepunkt oder den eines anderen zu bewegen«, fuhr Don Juan fort, »müssen sie rücksichtslos sein. Das heißt, sie müssen jene Position des Montagepunkts kennen, die wir den Platz ohne Erbarmen nennen. Dies gilt vor allem für die Naguals.«
    Dabei entfalte ein jeder Nagual seine besondere Art der Rücksichtslosigkeit, sagte er. Ich zum Beispiel, mit meiner angeborenen Labilität, erschiene einem Seher nicht als leuchtende Sphäre, bestehend aus vier zusammengedrückten Kugeln - wie es die übliche Struktur eines Nagual sei, sondern als eine aus drei zusammengedrückten Kugeln bestehende Sphäre. Und diese Struktur zwinge mich, meine Rücksichtslosigkeit hinter einer Maske von Toleranz und Wohlwollen zu verbergen.
    »Die Naguals sind schillernde Persönlichkeiten«, sagte Don Juan. »Sie erwecken oft den Eindruck, als wären sie jemand, der sie nicht sind. Dies gelingt ihnen so vollkommen, daß jeder ihnen ihre Maske glaubt. Auch Menschen, die ihnen nahestehen.«
    »Wie kannst du behaupten, Don Juan, daß ich mich hinter einer Maske verstecke?« protestierte ich.
    »Ach, du gibst dich als toleranter, wohlwollender Mann«, sagte er. »Du weckst den Eindruck, als wärst du großzügig und mitfühlend. Und jeder ist überzeugt von deiner Aufrichtigkeit. Alle könnten schwören, daß du so und nicht anders bist.«
    »Aber so bin ich doch!«
    Don Juan bog sich vor Lachen.
    Diese Richtung, in die unser Gespräch sich entwickelt hatte, gefiel mir gar nicht. Ich wollte die Sache klarstellen. Ich wollte Don Juan überzeugen, daß ich bei allem, was ich tat, aufrichtig sei. Ich forderte ihn auf, mir ein Beispiel für das Gegenteil zu nennen.
    Er sagte, ich stünde immer unter dem Zwang, den Leuten mit einer ungerechtfertigten Großzügigkeit zu begegnen. Dies vermittle ihnen ein falsches Bild von meiner Offenheit und Unbefangenheit.
    Und ich wandte ein, solche Offenheit sei eben meine Natur! Worauf Don Juan mich auslachte und fragte, warum

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