Ein Braeutigam und zwei Braeute
Chaim der Schlosser
Obwohl ihn jedermann Chaim den Schlosser nannte, war er eigentlich das, was man hier in Amerika einen Klempner nennt. Er reparierte Wasserleitungen, vor allem verstopfte Klosetts – in unserer Straße ein ständiges Problem.
Chaim war von mittlerer Statur, kräftig und breitschultrig, mit einem bronzebraunen Gesicht und ebensolchem Bart. Seine Kleidung schien wie mit Rost bestäubt. Obwohl er noch jung war, war sein Gesicht zerfurcht und zerknittert – das Gesicht eines arbeitenden Menschen, der sich nicht schont. Sommers wie winters trug er eine kurze Jacke und hohe Stiefel. Immer war er mit Leitungsrohren, Hämmern, Feilen, Kneifzangen und irgendwelchen Eisenteilen unterwegs. Selbst seine Stimme hatte ein metallisches Dröhnen. Am Sabbat betete Chaim der Schlosser in unserer Wohnung und aß die dritte Sabbatmahlzeit mit uns. Manchmal, wenn er ein Glas Schnaps trank, schüttelte er mir die Hand. Seine Hand war hart wie Eisen.
Außer zum Reparieren von Klosetts wurde Chaim überall geholt, wo Not am Mann war: bei Feuer, heruntergebrochenen Zimmerdecken, verklemmten Türen, geborstenen Öfen. Er war der einzige, dem es nichts ausmachte, wenn er ruß- und ascheverschmiert war. Und er lud sich noch weitere beschwerliche Pflichten auf. Nicht nur, daß er der Gruppe angehörte, die in unserer Wohnung betete – als Mitglied der Freiwilligen Nachtwache brachte er auch oft die Nacht an einem Krankenlager zu. Nach seiner harten Tagesarbeit wurde Chaim zu Leuten geschickt, die Typhus hatten oder im Delirium lagen und die Hilfe eines starken Mannes brauchten. Gott hatte Chaim mit Kraft gesegnet, und mit ihr diente er Gott. Wenn man Chaim bat, sich nicht zu überanstrengen, zuckte er die Schultern und antwortete: »Wem breite Schultern gegeben sind, der muß die Bürde tragen.«
Chaim der Schlosser hatte mehrere Töchter; sein jüngstes Kind war ein Junge namens Sainwel, der etwa neun oder zehn Jahre älter war als ich. Chaims Liebe zu seinem einzigen Sohn war grenzenlos. Ich habe ihn nie von etwas anderem sprechen hören als von dem Jungen: Sainwel kann schon Silben lesen, Sainwel hat gerade mit dem Fünfbuch angefangen, Sainwel hat begonnen, die Gemara zu studieren. Chaim hatte schon beschlossen, Sainwel müsse Gelehrter und Rabbi werden. Wann immer Chaim uns besuchte, sagte er: »Mein Sainwele wird einmal Rabbi.«
»So Gott will«, erwiderte mein Vater.
»Ich möchte nur den Tag noch erleben, an dem mein Sainwele rabbinische Fragen entscheidet.«
Dies war nicht bloß ein Wunsch – es war die einzige Hoffnung, auf die alle Mühen Chaims gerichtet waren. Er schickte Sainwel zu den besten Lehrern, von früh an kleidete er ihn in chassidische Gewänder. Chaim bezahlte einen jungen Chassid dafür, daß er Sainwel beaufsichtigte, mit ihm lernte und die Tora und chassidische Rebbes mit ihm erörterte. Sainwel lernte offensichtlich gern; doch mit seiner hellen Haut, den blauen Augen und blonden Schläfenlocken glich er seiner Mutter, nicht seinem Vater. Seine dünne Fistelstimme machte es einem schwer zu glauben, daß er der Sohn Chaims war.
Jeden Sabbat brachte Chaim Sainwel zu Vater, damit dieser ihn mündlich examinierte. Mutter bot ihm Obst an, und solange Sainwel, angetan mit Jarmulke und gegürtetem Seidenkaftan, bei uns war, erörterte Vater mit ihm chassidische Fragen. Ein wenig abseits saß der Schlosser mit einem Gesicht, das vor überirdischer Freude glänzte. Sein gebräuntes Gesicht schien vor Wonne zu schmelzen, und seine Augen leuchteten unter den buschigen Brauen. Solcherart mag die Glückseligkeit der Juden am Berg Sinai gewesen sein, als Gott sich unter Feuersblitzen offenbarte.
Wenn Chaims Frau sich beschwerte, er kümmere sich kaum um seine Töchter, verteidigte er sich mit den Worten: Liebe ich die Mädchen etwa nicht? Er liebte sie mehr als sein Leben. Aber Mädchen können schließlich nicht die Tora studieren. Sie rennen im Hof herum und haben bloß Kleider, belangloses Zeug und Blödsinn im Kopf. Wie hätte Chaim die Freude, die die Mädchen ihm machten, mit der vergleichen können, die er an Sainwel hatte? Sainwel saß über einem Talmud, und sein Stimmchen hallte im ganzen Hof wider. Im Lehrhaus sprachen angesehene Juden ihn an und erörterten mit ihm eine Stelle aus der Gemara. In ferner Zukunft würde Sainwel nach seinem, Chaims, Tod das Kaddisch sagen. Und überdies war Sainwel schwächlich und sanft, ein feiner Junge. Die Mädchen glichen
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