Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan

Titel: Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
offensichtlich investierte er nicht in mich. Aber ich hatte durch schmerzhafte Lebenserfahrung gelernt, daß man auf der Welt nichts geschenkt bekommt. Da ich nicht absehen konnte, welchen Lohn sich Don Juan versprach, war mir sehr unbehaglich dabei.
    Eines Tages fragte ich Don Juan rundheraus, und in sehr zynischem Ton, welchen Vorteil er denn aus unserer Verbindung hätte. Ich könne es mir nicht vorstellen, sagte ich.
    »Nichts, was du verstehen würdest«, erwiderte er.
    Seine Antwort ärgerte mich. Streitlustig sagte ich ihm, ich sei nicht blöde, und er könne zumindest versuchen es mir zu erklären. »Nun, ich möchte sagen, daß du es zwar verstehen würdest, aber es würde dir gewiß nicht gefallen«, sagte er mit jenem Lächeln, das er immer aufsetzte, wenn er mich aus dem Gleichgewicht brachte. »Weißt du, ich möchte es dir wirklich ersparen.«
    Ich hatte angebissen und verlangte, er solle mir sagen, was er meinte.
    »Bist du sicher, daß du die Wahrheit hören willst?« fragte er, wohl wissend, daß ich niemals nein sagen konnte, und gelte es mein Leben.
    »Natürlich möchte ich die Wahrheit hören. Spanne mich nicht auf die Folter!« rief ich gereizt.
    Er lachte, als hätte ich einen guten Witz erzählt. Je mehr er lachte, desto zorniger wurde ich.
    »Ich sehe nicht ein, was so lustig sein sollte«, sagte ich.
    »Vielleicht ist es manchmal besser, nicht nach der tieferen Wahrheit zu forschen«, sagte er. Die tiefere Wahrheit ist wie ein Stein im Fundament eines großen Stapels anderer Probleme. Sie ist wie ein Grundstein. Betrachten wir diesen Grundstein genauer, dann kommen wir oft zu Ergebnissen, die uns nicht gefallen. Und dies möchte ich vermeiden.«
    Wieder lachte er. Seine boshaft funkelnden Augen schienen mich aufzufordern, weitere Fragen zu stellen. In ruhigem, aber bestimmtem Ton wiederholte ich, daß ich wissen müsse, wovon er gesprochen hatte.
    »Nun, wenn du es durchaus wissen willst«, sagte er - mit einer gönnerhaften Miene, als habe er sich durch mein Flehen erweichen lassen. »Vor allem sollst du wissen, daß alles, was ich für dich tue, für dich kostenlos ist. Du brauchst nichts dafür zu bezahlen. Du weißt, daß ich mich zu dir makellos verhalte. Du weißt auch, daß meine Makellosigkeit im Umgang mit dir für mich keine Investition bedeutet. Du sollst nicht glauben, daß ich dich fördere, damit du eines Tages für mich sorgst, wenn ich zu alt und zu schwach bin, für mich selber zu sorgen. Und dennoch schenkt mir unsere Verbindung etwas sehr Wertvolles. Es ist gewissermaßen eine Belohnung für den makellosen Umgang mit jenem Grundstein, von dem wir sprachen. Was ich geschenkt bekomme, wirst du vielleicht nicht verstehen. Es wird dir vielleicht nicht gefallen.«
    Er sah mich an - mit teuflisch funkelnden Augen.
    »Verrate es mir doch endlich, Don Juan!« rief ich - erbost über seine Verzögerungstaktik.
    »Vergiß aber nicht, ich sage es dir auf dein eigenes Verlangen«, sagte er, immer noch grinsend.
    Wieder machte er eine Pause. Ich kochte vor Wut.
    »Wenn du mich nach meinem Verhalten zu dir beurteilst«, sagte er, »wirst du zugeben müssen, daß ich immer ein Muster an Geduld und Verläßlichkeit war. Du weißt aber nicht, was es mich gekostet hat. Um meine Makellosigkeit zu erreichen, mußte ich kämpfen, wie ich noch nie um etwas gekämpft habe. Damit ich mit dir zusammen sein konnte, mußte ich mich jeden Tag verwandeln und mich aufs Äußerste beherrschen.«
    Don Juan hatte ganz recht gehabt. Ich war überhaupt nicht einverstanden mit dem, was er sagte. Um mein Gesicht zu wahren, machte ich einen lahmen Rettungsversuch.
    »So schlimm bin ich doch gar nicht, Don Juan«, sagte ich. »Doch, so schlimm bist du«, sagte er, jetzt ernst geworden. »Du bist kleinlich, verschwenderisch, voreingenommen, zwanghaft, reizbar und eingebildet. Du bist mürrisch, grüblerisch und undankbar. Du bist unübertroffen in deiner Fähigkeit, dich gehenzulassen. Und was am schlimmsten ist - du hast eine übertriebene Vorstellung von dir selbst, die durch nichts gerechtfertigt ist. Um ehrlich zu sein, muß ich sagen, daß mir ganz übel wird in deiner Gegenwart!«
    Ich wollte aufbrausen. Ich wollte protestieren und mich beschweren, er habe kein Recht, so mit mir zu sprechen. Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich war niedergeschmettert, wie betäubt.
    Vermutlich guckte ich sehr verdutzt, als ich diese tiefste Wahrheit erfuhr. Denn Don Juan lachte so unbändig, daß ich beinah fürchten

Weitere Kostenlose Bücher