Die Kreuzzüge
schien darauf hinzudeuten, dass die Teilnahme an diesem heiligen Streit die gleiche Macht hatte, die Seele zu reinigen, wie andere Formen der Buße, versprach sie doch, ebenso wie eine Pilgerfahrt, so schwierig wie gefährlich zu sein. Noch hatte sich diese Erklärung für die heilbringende Macht sanktionierter Gewalt nicht durchgesetzt, aber sie lieferte eine wichtige Argumentationsgrundlage für spätere Päpste. Tatsächlich löste Gregors radikaler Versuch, die lateinische Christenheit zu militarisieren, unter einigen Zeitgenossen strikte Ablehnung aus, in kirchlichen Kreisen wurde ihm vorgeworfen, sich »an neuen Praktiken zu versuchen, von [29] denen man noch nie zuvor gehört« habe. Er ging in seinen Vorstellungen so weit, dass sein Nachfolger Papst Urban II., als er ein maßvolleres und sorgfältiger durchdachtes Leitbild vorgab, im Vergleich mit ihm fast konservativ erschien und daher auch auf weniger Kritik stieß. 7
Gregor VII. brachte die römisch-katholische Theologie bis dicht an den Rand einer Rechtfertigung des heiligen Krieges, indem er postulierte, dass der Papst eindeutig das Recht habe, Heere aufzubieten, um für Gott und die Kirche zu kämpfen. Außerdem unternahm er entscheidende Schritte, um das Konzept sanktionierter Gewalt mit einem bußtheologischen Rahmen zu versehen – eine Vorstellung, die zum Kernbestand des Kreuzfahrtgedankens gehört. Dennoch kann dieser Papst nicht als der eigentliche Architekt der Kreuzzüge bezeichnet werden, weil es ihm offensichtlich nicht gelang, einen zwingenden, überzeugenden Begriff des heiligen Krieges auszuarbeiten, der bei den Christen Europas Anklang gefunden hätte. Dies sollte die Leistung Papst Urbans II. sein.
DIE MUSLIMISCHE WELT
Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts wurden die westeuropäischen Franken durch die Kreuzzüge mit den Muslimen des östlichen Mittelmeerraums konfrontiert: nicht weil diese Kriege vor allem mit dem Ziel begonnen worden waren, den Islam zu beseitigen, auch nicht, um Muslime zum christlichen Glauben zu bekehren, sondern weil Muslime das Heilige Land und die Heilige Stadt Jerusalem beherrschten.
Die Anfänge des Islams
Nach muslimischer Tradition schlug die Geburtsstunde des Islams 610 n. Chr., als Mohammed – ein des Schreibens und Lesens unkundiger, 40-jähriger Araber aus Mekka (im heutigen Saudi-Arabien) – eine Reihe von »Offenbarungen« von Allah (Gott) empfing, die ihm vom Erzengel Gabriel überbracht wurden. Diese »Offenbarungen« wurden als heilige, unveränderliche Worte Gottes angesehen; in ihrer späteren schriftlichen Form wurden sie zum heiligen Buch, dem Koran. Mohammed brachte sein Leben damit zu, die polytheistischen Araber Mekkas und des umliegenden Hedschas (an der Westküste der Arabischen Halbinsel) zum [31] monotheistischen Islam zu bekehren. Das war keine einfache Aufgabe. Im Jahr 622 war der Prophet gezwungen, in die nahegelegene Stadt Medina zu fliehen; diese Reise gilt als Anfangsdatum für den muslimischen Kalender. Mohammed führte dann einen langen, blutigen Religionskrieg gegen Mekka und eroberte die Stadt schließlich kurz vor seinem Tod im Jahr 632.
Die von Mohammed begründete Religion – der Islam, was »Unterwerfung unter den Willen Gottes« bedeutet – hat gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum und dem Christentum. Der Prophet kam im Lauf seines Lebens in Arabien und im Byzantinischen Reich mit Anhängern dieser beiden Religionen in Kontakt, und seine »Offenbarungen« wurden als die Vollendung dieser älteren Religionen dargestellt. Aus diesem Grund erkannte Mohammed auch Moses, Abraham und sogar Jesus als Propheten an, und eine ganze Sure im Koran ist der Jungfrau Maria gewidmet.
Zu Lebzeiten Mohammeds und in den Jahren unmittelbar nach seinem Tod waren die kriegerischen Stämme der Arabischen Halbinsel unter dem Banner des Propheten vereint. In den nächsten Jahrzehnten erwiesen sich diese muslimischen Araber unter der Führung einiger fähiger und ehrgeiziger Kalifen (der Nachfolger des Propheten) als eine Kriegsmacht, gegen die jeglicher Widerstand fast zwecklos schien. Diese kämpferische Dynamik ging mit einem offenbar unstillbaren Eroberungshunger einher – einem Hunger, der durch die ausdrückliche Forderung im Koran unterstützt wurde, der muslimische Glaube und die Geltung des islamischen Gesetzes sollten unermüdlich über die ganze Erde verbreitet werden. Auch die Art, wie der arabische Islam sich neu eroberte Gebiete unterwarf, trug zu seiner ungewöhnlich raschen
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