Die Kreuzzüge
aufbauen konnten. [27] Augustinus vertrat die These, ein Krieg sei unter bestimmten, streng definierten Voraussetzungen sowohl gerecht als auch zu rechtfertigen. Seine komplexe Theorie wurde später vereinfacht und reduziert auf lediglich drei Bedingungen für einen gerechten Krieg: die Kriegserklärung durch eine »rechtmäßige Autorität«, etwa einen König oder Bischof; einen »gerechten Grund«, wie die Verteidigung gegen einen feindlichen Angriff oder die Wiedereroberung von verlorenem Territorium; und die Durchführung mit »gerechter Absicht«, also unter Anwendung von so wenig Gewalt wie möglich. Auf diesen drei augustinischen Prinzipien fußte zwar auch das Ideal der Kreuzzüge; was sie aber durchaus nicht leisteten, war eine Rechtfertigung des Krieges.
Im frühen Mittelalter sah man in den Gedanken des Augustinus den Beweis dafür, dass bestimmte unvermeidliche Formen militärischer Konflikte »gerechtfertigt« und also in den Augen Gottes zulässig waren. Doch auch unter diesen Voraussetzungen war das Kämpfen nach wie vor eine Sünde. Dagegen hielt man einen christlichen heiligen Krieg, etwa einen Kreuzzug, für eine Unternehmung, die von Gott ausdrücklich unterstützt wurde und daher den Beteiligten geistlichen Lohn in Aussicht stellte. Beschleunigt wurde das Umdenken durch den martialischen Enthusiasmus der auf die römischen Kaiser folgenden »barbarischen« Machthaber Europas. Ihr neues Christentum vermittelte dem lateinischen Glauben eine neue »germanische« Ausprägung der Anerkennung von Krieg und kriegerischer Existenz. Unter den Karolingern etwa begannen Bischöfe, brutale Eroberungs- und Bekehrungsfeldzüge gegen die Heiden Osteuropas zu unterstützen und sogar anzuführen. Zur Jahrtausendwende war es unter christlichen Geistlichen zur Gewohnheit geworden, Waffen und Rüstungen zu segnen, und man beging die Gedenktage diverser »Krieger-Heiliger«.
In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts näherte sich die lateinische Christenheit der positiven Einschätzung des heiligen Krieges immer mehr an. In den frühen Phasen der Reformbewegung zeichnete sich für das Papsttum immer deutlicher ab, dass es eines militärischen Armes bedurfte, mit dem es seinen Vorstellungen Nachdruck verleihen und seine Absichten unterstreichen konnte. Daher ließen sich mehrere Päpste in Folge auf das Experiment ein, Kriege zu unterstützen, indem sie ihre Anhänger als Gegenleistung für verschwommen formulierte Aussichten auf geistlichen Lohn aufforderten, die Kirche zu verteidigen. Unter der [28] energischen Leitung von Papst Gregor VII. nahmen dann die Lehre und der Einsatz von geheiligter Gewalt neue Formen an. Gregor war fest entschlossen, ein päpstliches, Rom treu ergebenes Heer aufzustellen, deshalb unterzog er die christliche Tradition einer Neuinterpretation. Jahrhundertelang hatten Theologen den inneren, geistigen Kampf, den fromme Christen gegen die Sünde austrugen, als »christlichen Krieg« bezeichnet; manchmal wurden auch Mönche die »Soldaten Christi« genannt. Gregor modifizierte diese Vorstellungen, damit sie zu seinen Zielen passten, und verkündete, jegliche Laien-Gesellschaft habe vor allem eine Verpflichtung: als »Soldaten Christi« die lateinische Kirche durch tatsächliche unmetaphorische Kriegsführung zu verteidigen.
In seinen ersten Jahren als Papst schmiedete Gregor Pläne für ein gewaltiges militärisches Unternehmen, das man als ersten echten Protoyp eines Kreuzzugs verstehen kann. 1074 versuchte er, im östlichen Mittelmeerraum einen heiligen Krieg zu beginnen, um den griechisch-orthodoxen Christen in Byzanz zu Hilfe zu kommen, die, wie er erklärte, von den Muslimen Kleinasiens »täglich abgeschlachtet werden wie Vieh«. Den Lateinern, die bei diesem Feldzug mitkämpften, wurde »himmlischer Lohn« versprochen. Sein grandioser Plan war nicht durchführbar, er vermochte nur sehr wenige Gefolgsleute zu mobilisieren, vielleicht wegen seiner verwegenen Ankündigung, den Feldzug höchstselbst anzuführen. Die Formulierung, die der Papst im Jahr 1074 für den militärischen Einsatz für Gott und den daraus resultierenden geistigen Lohn gefunden hatte, war noch zu unspezifisch. Nach 1080 dagegen, als der Streit mit dem deutschen König in vollem Gang war, unternahm Gregor einen entscheidenden Schritt in Richtung Eindeutigkeit. Er schrieb, seine Anhänger sollten gegen den König kämpfen und in der »Gefahr der kommenden Schlacht die Vergebung all ihrer Sünden« erwarten. Das
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