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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Wenn sie richtig in Fahrt kamen, war bei mir alles vorbei! Diese Verachtung, dieses Zusammenbeißen der Zähne, das ist für einen Mann unerträglich. Doch was sollte ich machen, es war, als hätte ich meine Souveränität verloren, ich musste es noch eine Weile aushalten, dann schien es, als hätte ich wieder ein bisschen Gefühl, doch beim nächsten Versuch war es das Gleiche. Als es so weit war, zischte sie durch die Zähne: zwecklos!
    Das war vermutlich schlimmer als die Angriffe der Kommunistischen Partei auf dich.
    Waren wir denn für gar nichts gut? Aber die Bürokraten, die Pfeffersäcke, die Zyniker, die Deckhengste, die sind etwas wert? Wofür haben wir denn gesessen? Was habt ihr denn gemacht, als wir im Bau waren? Geld gescheffelt und zu den Nutten gerannt, oder? Und wenn ihr genug Geld hattet und genug gevögelt habt, erzählt ihr uns, wir wären nichts wert, oder?
    Die Welt und die Menschen haben sich verändert.
    Ich war das, ich war nicht mehr ganz normal. Ich kam mit mir selbst nicht zurecht, hatte Selbstmitleid und ließ meine Wut an irgendwelchen Mädels aus. Es ist noch gar nicht lange her, da war ich mit Kunzi, der gerade aus dem Knast gekommen war, am Qianmen bummeln, die Abendsonne war richtig schön, und was da so an uns vorbeilief, war auch nicht schlecht. Doch da ist vor uns ein Mädchen vorbeigewischt, mit langen, wehenden Haaren, die einen leichten Duftschleier nach sich zogen, und dann die beiden runden Hälften ihres Hinterteils. Mir machte das nichts weiter aus, seit ich draußen war, hatte ich gesehen, was ich hatte sehen müssen. Aber Kunzi war schon über vierzig, dieser mutige Kamerad, der am 4 . Juni trotz des Kugelhagels auf ein Autodach geklettert war und eine Rede gehalten hatte, dem blieb in diesem Augenblick komplett die Spucke weg, ihm standen die Augen vor dem Kopf wie zwei unförmige Angelhaken, die er nur allzu gerne eingezogen hätte, und mit ihnen diese beiden Hinterbacken. Normale Menschen können das nicht nachfühlen, dieses schreckliche Gefühl des Verhungerns. Erst als das Mädel weg war, kam der Kamerad wieder zu sich, und er flüsterte mir mit trauriger Stimme ins Ohr: Ach, alter Wu, ich bin impotent.
     
    Ich habe diesen Kameraden kennengelernt, Wu Wenjian hat ihn immer wieder bequatscht, der Kamerad hat immer wieder gezögert, aber letzten Endes hat er meinem Ansinnen nicht entsprochen. Kunzi war ein ehemaliger Soldat, die Brust voller patriotischer Begeisterung. Vor der Nacht auf den 4 . Juni war er pünktlich an dem von dem vagabundierenden Schriftsteller Zheng Yi in seinen Erinnerungen beschriebenen Ort – an der Kreuzung der Hochstraße bei Muxidi mit der Chang’an –, wo er von erhobener Position aus die Konfrontation von Panzer und Menge dirigierte. Später dann ist er verraten und von den Sondereinsatzkommandos der Truppen im Ausnahmezustand gefasst und wegen »Putschversuchs« zum Tod auf Bewährung verurteilt worden. Er war noch nicht lange im Knast, als sich seine Frau und seine Kinder von ihm abwandten, und als er Jahre später entlassen wurde, stand er alleine da, ein Hagestolz, mit seinen 80  Jahre alten Eltern in eine Wohnung gepfercht. Arbeit ist so schwer zu finden, sagte er. Wenn ich mich von dir interviewen lasse und der Chef davon Wind kriegt, dann wirft er mich auf der Stelle raus.
    Was arbeitest du denn?
    Erst auf der Straße, vor einem von den großen Kaufhäusern, da habe ich für die Kunden auf die Fahrräder aufgepasst. Es war lausig wenig Geld, im Winter, wenn es schneit, muss man ständig auf den Hacken sitzen, wenn man nicht zu einem Eiszapfen gefrieren will. Dann bin ich über Beziehungen, meine Brüder, weißt du, in ein Schwimmbad gekommen, dort habe ich saubergemacht, die Klos, Tag und Nacht, jedenfalls war das Einkommen etwas sicherer. In den achtziger Jahren gab es kaum noch Nachtclubs, in den Filmen damals sind nur schlechte Menschen in solche Clubs gegangen, oder doch wenigstens zweite Wahl, die keiner geregelten Arbeit nachgingen. In den 90 ern gab es nicht nur eine Öffnung der Wirtschaft, sondern auch der Hosenläden; dass man in den Clubs Frauen finden konnte, die sich einem für Geld anboten, war nichts Besonderes mehr. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ging das mit den Nachtclubs zurück, dafür hatten die Badeanstalten Hochkonjunktur. Da wurde gesoffen, gesungen, Mahjongg gespielt, gewhirlpoolt, Rücken gerieben, Füße geknetet, massiert, herumgehurt – ein Rundumservice: was den Kunden guttat, wurde

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