Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
gab, la Gorda und Rosa - eine krasse Abweichung von der Regel.
    Don Juan und seine Krieger waren mehr als bestürzt. Sie fassten das ganze Geschehen als Omen auf, als Zeichen dafür, daß die Dinge eine unvorhersehbare Wendung genommen hatten. Da sie sich nicht mit dem Gedanken abfinden mochten, daß ihnen bei der Beurteilung von la Gordas »wahrer Natur« ein menschlicher Irrtum unterlaufen war, nahmen sie an, daß ein höherer Befehl sie zu diesem Fehler veranlaßt hatte - aus einem schwer erkennbaren, aber realen Grund.
    Sie grübelten über der Frage, was nun geschehen solle, aber noch bevor einer von ihnen eine Antwort fand, bot sich ihnen eine mögliche Lösung. Eine echte Frau des Südens, Dona Soledad, betrat den Schauplatz mit solcher Macht, daß es ihnen unmöglich war, sie abzulehnen. Sie entsprach der Regel. Sie war eine Pirscherin.
    Ihre Anwesenheit lenkte uns eine Weile von unseren Schwierigkeiten ab. Einige Zeit schien es, als würde sie uns auf eine andere Ebene ziehen. Sie bewirkte eine starke Unruhe. Florinda nahm sie unter ihre Fittiche, um sie das Pirschen zu lehren. Doch was immer sie für Dona Soledad tun mochte, und was immer diese erreichen mochte, es genügte nicht, um einen seltsamen Energieverlust auszugleichen, den ich verspürte, eine Lustlosigkeit, die immer noch zuzunehmen schien.
    Nun sagte Silvio Manuel, er habe im Träumen einen Generalstabsplan empfangen. Er war begeistert und machte sich gleich daran, die Einzelheiten mit Don Juan und den anderen Kriegern zu diskutieren. Die Nagual-Frau durfte an ihren Diskussionen teilnehmen, ich aber nicht. Dies brachte mich auf den Verdacht, sie wollten mich nicht erfahren lassen, was Silvio Manuel über mich herausgefunden hatte.
    Ich hielt jedem von ihnen meinen Verdacht vor. Alle lachten mich aus, nur die Nagual-Frau nicht, die mir sagte, daß ich recht hätte. Silvio Manuels Träumen habe den Grund für meine Anwesenheit unter ihnen offenbart, aber ich müsse mich mit meinem Schicksal abfinden, und dies sei, die Art meiner Aufgabe nicht zu kennen, bis ich bereit für sie wäre.
    Es lag eine solche Endgültigkeit in ihrer Stimme, daß ich alles, was sie sagte, ohne weitere Fragen akzeptierte. Ich glaube, falls Don Juan oder Silvio Manuel mir dasselbe gesagt hätten, dann hätte ich mich nicht so leicht damit abgefunden. Sie sagte auch noch, sie sei mit Don Juan und den anderen nicht einverstanden sie meinte, ich sollte über den ungefähren Zweck ihres Tuns unterrichtet werden, und sei es lediglich, um unnötige Reibungen und Auflehnung zu vermeiden.
    Silvio Manuel beabsichtigte, mich auf meine Aufgabe vorzubereiten, indem er mich direkt in die zweite Aufmerksamkeit versetzte. Er plante eine Reihe kühner Taten, die meine Bewußtheit anfachen sollten.
    In Gegenwart aller anderen sagte er mir, daß er nun meine Führung übernehmen und mich in seinen Bereich der Kraft, die Nacht, bringen werde. Er gab mir die Erklärung, im Träumen seien ihm eine Reihe von Taten des Nicht-Tuns gezeigt worden. Sie waren bestimmt für ein Team, bestehend aus la Gorda und mir als den Ausführenden und der Nagual-Frau als Kontrolleur.
    Silvio Manuel hatte hohen Respekt vor der Nagual-Frau und sprach nur voller Bewunderung von ihr. Er sagte, sie sei eine Klasse für sich. Sie könne es mit ihm und jedem anderen Krieger seines Trupps aufnehmen. Sie sei zwar unerfahren, doch könne sie ihre Aufmerksamkeit manipulieren, wie sie es brauche. Er gestand mir, daß ihr überragendes Können ihm ebenso rätselhaft sei wie meine Anwesenheit unter ihnen und daß ihre Zielstrebigkeit und Überzeugung so scharf ausgeprägt seien, daß ich kein ebenbürtiger Partner für sie sein könne. Er bat sogar la Gorda, mir besondere Unterstützung zu geben, damit ich den Kontakt mit der Nagual-Frau aushielt.
    Für unser erstes Nicht-Tun baute Silvio Manuel einen hölzernen Verschlag, groß genug, um la Gorda und mich aufzunehmen, wenn wir mit angezogenen Knien Rücken an Rücken saßen. Der Verschlag hatte einen Deckel aus Latten, damit die Luft zirkulieren konnte. La Gorda und ich mußten hineinkriechen und dort in völliger Dunkelheit und totalem Schweigen sitzen bleiben, ohne einzuschlafen. Anfangs ließ er uns nur für kurze Zeitspannen in den Kasten steigen. Dann verlängerte er die Zeitspannen in dem Maß, wie der Vorgang uns vertraut wurde, bis wir die ganze Nacht darin verbringen konnten, ohne uns zu bewegen oder einzuschlummern.
    Die Nagual-Frau blieb bei uns, um

Weitere Kostenlose Bücher