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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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wesentlich anders geartet und komplexer sein würde als die erste Reihe. Bei diesen dreien ging es darum, daß wir mit der anderen Welt umzugehen lernten. Um die Wirkung dieser Taten des Nicht- Tuns zu verstärken, war es notwendig, den Zeitpunkt der Aktion ins Zwielicht des Abends oder der frühen Dämmerung zu verlegen. Das erste Nicht-Tun dieser zweiten Reihe, so sagte er, bestünde aus zwei Phasen; in der ersten müßten wir uns in unseren schärfsten Zustand gesteigerter Bewußtheit versetzen, um die Nebelwand zu entdecken. War dies geschehen, dann bestand die zweite Phase darin, das Kreisen dieser Wand anzuhalten, um in die Welt zwischen den parallelen Linien vorzudringen.
    Er warnte uns vorab, er habe vor, uns direkt ohne intellektuelle Vorbereitung in die zweite Aufmerksamkeit zu versetzen. Er wollte, daß wir die Feinheiten lernten, ohne rational zu verstehen, was wir taten. Er behauptete, daß ein magisches Reh oder ein magischer Kojote mit der zweiten Aufmerksamkeit umgehen könne, ohne selbst Intellekt zu haben. Durch die erzwungene Übung der Ausflüge hinter die Nebelwand würden wir früher oder später eine dauerhafte Änderung unseres ganzen Seins erfahren - eine Änderung, die uns befähigen würde, die Welt hinter den parallelen Linien als real zu akzeptieren, weil sie Bestandteil der gesamten Welt sei, ähnlich wie unser leuchtender Körper Bestandteil unseres gesamten Seins ist.
    Silvio Manuel sagte auch, daß er la Gorda und mich auf die Probe stellen wollte, ob es uns eines Tages möglich sein werde, den anderen Lehrlingen zu helfen, indem wir sie in die andere Welt geleiteten - in welchem Fall sie den Nagual Juan Matus und seinen Trupp auf ihrer endgültigen Reise begleiten könnten. Er meinte, nachdem die Nagual-Frau diese Welt zusammen mit dem Nagual Juan Matus und seinen Kriegern verlassen müsse, müßten die Lehrlinge ihr folgen, weil sie, nachdem ein Nagual-Mann fehlte, der einzige Führer wäre. Er versicherte uns, daß die Nagual-Frau mit uns rechnete und daß dies der einzige Grund sei, warum sie unsere Arbeit kontrollierte.
    Silvio Manuel ließ la Gorda und mich hinter seinem Haus auf dem Boden sitzen, an der Stelle, wo wir auch all die anderen Taten des Nicht-Tuns ausgeführt hatten. Wir brauchten nicht Don Juans Hilfe, um in unseren schärfsten Wahrnehmungszustand einzutreten. Beinah unmittelbar sah ich die Nebelwand. La Gorda ging es ebenso; aber wie sehr wir uns auch bemühten, wir konnten ihr Kreisen nicht anhalten. Immer wenn ich meinen Kopf bewegte, bewegte die Wand sich mit ihm.
    Die Nagual-Frau konnte die Wand anhalten und aus eigener Kraft hindurchgehen, aber trotz all ihrer Anstrengungen gelang es ihr nicht, uns beide mitzunehmen. Schließlich mußten Don Juan und Silvio Manuel die Wand für uns anhalten. Sie stießen uns körperlich durch sie hindurch.
    Beim Eintreten in diese Nebelwand hatte ich ein Gefühl, als würde mein Körper wie ein Seil aufgespleißt.
    Auf der anderen Seite fand sich jene schreckliche wüste Ebene mit den kleinen runden Sanddünen. Überall hingen niedrige gelbe Wolken, aber es gab keinen Himmel, keinen Horizont; blaßgelbe Nebelbänke behinderten die Sicht. Das Gehen fiel mir sehr schwer. Es schien mir, als sei der Luftdruck viel höher, als mein Körper es gewöhnt war. La Gorda und ich streiften ziellos umher, doch die Nagual-Frau schien zu wissen, wohin sie ging. Je weiter wir uns von der Wand entfernten, desto dunkler wurde es, und desto schwieriger wurde die Fortbewegung. La Gorda und ich konnten nicht mehr aufrecht gehen. Wir mußten kriechen. Ich verlor alle Kraft, und la Gorda erging es ähnlich. Die Nagual-Frau mußte uns zu der Wand zurück und aus ihr hinaus schleppen. Wir wiederholten diese Reise ungezählte Male. Anfangs halfen Don Juan und Silvio Manuel uns, die Nebelwand anzuhalten, aber dann konnten la Gorda und ich es fast so gut wie die Nagual-Frau. Wir lernten auch, das Kreisen der Wand anzuhalten. Es kam uns ganz von selbst. In meinem Fall erkannte ich irgendwann, daß meine Absicht das entscheidende war - ein besonderer Aspekt meiner Absicht, denn es handelte sich nicht um meinen Willen, wie er mir vertraut ist. Es war ein intensives Verlangen, das sich um meine Körpermitte konzentrierte. Es war eine seltsame Nervosität, die mich schaudern ließ, und dann verwandelte es sich in eine Kraft, die nicht eigentlich die Wand anhielt, sondern einen Teil meines Körpers unwillkürlich sich um 90 Grad nach rechts drehen ließ. Die

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