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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erklärt hatte.
    »Die Protuberanzen an den Tunnelwänden sind Schattenwesen«, sagte sie. »Ich bin eines von ihnen. Wir bewegen uns durch die Tunnel, an ihren Wänden, und laden uns mit der Energie der Tunnel auf, die unsere Energie ist.«
    Mir kam ein müßiger Gedanke in den Sinn - nämlich, daß ich mir eine solche symbiotische Beziehung, wie ich sie hier sah, tatsächlich nicht vorstellen konnte.
    »Würdest du bei uns bleiben, dann könntest du lernen zu fühlen, wie es ist, so verbunden zu sein, wie wir es sind«, sagte der Botschafter.
    Der Botschafter schien auf meine Antwort zu warten. Ich hatte das Gefühl, daß er eigentlich von mir hören wollte, daß ich beschlossen hätte zu bleiben.
    »Wie viele Schattenwesen gab es in jedem der Tunnel?« fragte ich, um die Stimmung in eine andere Richtung zu steuern. Aber sofort bereute ich es, denn der Botschafter fing an, mir ausführlich Rechenschaft über die Zahl und Funktion der Schattenwesen in jedem Tunnel zu geben. Jeder Tunnel, sagte er, habe eine bestimmte Anzahl von abhängigen Wesen, die bestimmte Funktionen erfüllten, im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und Erwartungen der sie beherbergenden Tunnel. Ich wollte nicht, daß der Botschafter weiter ins Detail ging. Je weniger ich wußte über die Tunnel und über die Schattenwesen, dachte ich, desto besser für mich. Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, unterbrach sich der Botschafter, und mein Energiekörper bäumte sich auf, wie an einem Kabel hochgezogen. Im nächsten Moment war ich hellwach in meinem Bett. Von nun an hatte ich keine Befürchtungen mehr, die meine Übungen hätten stören können. Aber ein anderer Gedanke beherrschte mich: der Gedanke nämlich, daß ich etwas beispiellos Faszinierendes gefunden hatte. Tag für Tag konnte ich es kaum erwarten, mit dem Träumen anzufangen und mich vom Scout in die Schattenwelt führen zu lassen. Eine zusätzliche Attraktion war, daß meine Visionen von dieser Schattenwelt noch lebensechter wurden als vorher. Gemessen am normalen Maßstab normalen Denkens, normaler visueller und auditiver Sinneswahrnehmungen sowie meiner normalen Reaktionen darauf, waren meine Erfahrungen, solange sie andauerten, nicht weniger real als jede beliebige Situation in der Alltagswelt. Niemals hatte ich Wahrnehmungserlebnisse gehabt, bei denen der einzige Unterschied zwischen meinen Visionen und meiner Alltagswelt darin lag, wie plötzlich meine Visionen endeten. Eben noch war ich in einer fremden, realen Welt - und im nächsten Moment lag ich in meinem Bett.
    Dringend sehnte ich mich nach Don Juans Kommentaren und Erklärungen, aber ich war noch immer in Los Angeles festgehalten. Je länger ich meine Situation bedachte, desto größer wurde meine Angst. Ich hatte sogar das Gefühl, daß sich im Reich der anorganischen Wesen irgend etwas mit ungeheurer Geschwindigkeit zusammenbraute.
    Und während meine Befürchtungen wuchsen, geriet ich körperlich in einen Zustand tiefster Angst, obwohl mein Verstand sich ekstatisch in die Betrachtung der Schattenwelt vertiefte. Um alles noch schlimmer zu machen, griff die Welt des Traum-Botschafters in mein alltägliches Bewusstsein über. Eines Tages, als ich in der Universität eine Vorlesung besuchte, hörte ich die Stimme immer wieder sagen, daß jeder Versuch meinerseits, meine Traumübungen abzubrechen, nachteilige Folgen für alle meine Ziele haben könnte. Die Stimme erklärte, daß Krieger vor keiner Herausforderung zurückscheuen und daß ich keinen Grund hätte, meine Übungen zu beenden. Ich konnte dem Botschafter nur beipflichten. Ich hatte nicht die Absicht, irgendwie aufzuhören, und die Stimme bestätigte mir nur. was ich dachte. Nicht nur veränderte sich der Botschafter, sondern ein neuer Scout betrat den Schauplatz. Irgendwann einmal, bevor ich angefangen hatte, die Gegenstände meiner Träume zu untersuchen, sprang ein Scout buchstäblich vor mir auf und forderte aggressiv meine Traum-Aufmerksamkeit. Das Bemerkenswerte an diesem Scout war, daß er es nicht nötig hatte, irgendwelche energetischen Metamorphosen zu durchlaufen. Er war von Anfang an eine Energieblase. Im Handumdrehen versetzte mich der Scout, ohne daß ich meine Absicht geäußert hätte, ihn zu begleiten, in einen anderen Teil der Welt der anorganischen Wesen: in die Welt der Säbelzahntiger.
    Ahnungen von solchen Visionen habe ich bereits in meinen anderen Büchern geschildert. Ich sage: Ahnungen, weil ich damals nicht genügend Energie hatte, diese

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