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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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gedämpftes Licht, das alles in ein diffuses Grau oder Braun tauchte. Nachdem ich mich an das Licht gewöhnt hatte, unterschied ich einige dunkle, bewegliche Gestalten. Nach einer Weile schien es mir, als würden diese beweglichen Umrisse fester, wenn ich meine Traum-Aufmerksamkeit auf sie konzentrierte. Es gab drei Typen von ihnen, wie ich bemerkte: einige waren rund wie Kugeln. Andere waren wie Glocken geformt. Und wieder andere wie riesige, flackernde Kerzenflammen. Alle waren mehr oder minder rund und von gleicher Größe. Ich schätzte sie auf etwa einen Meter im Durchmesser. Es waren Hunderte von ihnen, wie ich sah, vielleicht sogar Tausende. Ich wußte, dies war eine sonderbare und komplizierte Vision, obgleich diese Gestalten so real waren, daß ich sofort mit Übelkeit reagierte. Ich hatte das widerliche Gefühl, auf ein Nest von riesigen runden, bräunlichen oder grauen Käfern hinabzuschauen. Irgendwie fühlte ich mich aber in Sicherheit, so hoch über ihnen. Doch ich verwarf diese Überlegungen sofort, als mir klarwurde, wie dumm es war, mich in Sicherheit zu wiegen, als wäre mein Traum eine Situation im wirklichen Leben. Und während ich diese käferartigen Gestalten umherwimmeln sah, beschlich mich der beklemmende Gedanke, daß sie mich berühren könnten. »Wir sind die mobile Einheit unserer Welt«, sagte die Stimme des Botschafters plötzlich. »Hab keine Angst. Wir sind Energie, und natürlich haben wir nicht die Absicht, dich zu berühren. Es wäre ohnehin unmöglich. Wir sind durch reale Schranken getrennt.«
    Nach einer langen Pause fügte die Stimme hinzu: »Wir möchten, daß du zu uns kommst. Hier herunter, wo wir sind. Und sei ganz unbefangen. Du hast doch keine Angst vor den Scouts, und gewiß nicht vor mir. Die Scouts und ich, wir sind wie die anderen. Ich bin glockenförmig, und die Scouts sind wie Kerzenflammen geformt.« Diese letzte Aussage war so etwas wie ein Stichwort für meinen Energiekörper. Kaum hatte ich sie vernommen, verschwanden meine Übelkeit und Angst. Ich stieg zu ihnen hinab, und die Kugeln und Glocken und Kerzenflammen umringten mich. Sie kamen so nah, daß sie mich berührt hätten, hätte ich einen physischen Körper gehabt. Statt dessen schwebten wir durch einander hindurch, wie unsichtbar umhüllte Windstöße. In diesem Moment hatte ich ein unglaubliches Gefühl. Obwohl ich in meinem Energiekörper keinerlei Empfindung hatte, fühlte und registrierte ich - auf irgendwie andere Art - das erstaunlichste Kitzeln. Weiche Wesen von luftiger Konsistenz gingen eindeutig durch mich hindurch, aber nicht in meinem Hier und Jetzt. Die Empfindung war flüchtig und unbestimmt und ließ mir keine Zeit, mir darüber klarzuwerden. Statt meine Traum-Aufmerksamkeit auf dieses Gefühl zu konzentrieren, war ich ganz damit beschäftigt, diese riesigen, aus Energie bestehenden Käfer zu beobachten. Auf dem Niveau, wo ich mich nun befand, kam es mir vor, als hätten diese Schattenwesen und ich etwas gemeinsam: die Größe. Vielleicht weil ich annahm, daß sie etwa so groß wären wie mein eigener Energiekörper, fand ich es beinah anheimelnd bei ihnen. Und bei genauerer Prüfung fand ich, daß sie mir gar nicht unangenehm waren. Sie waren unpersönlich, kühl, zurückhaltend -und das gefiel mir sehr. Irgendwann fragte ich mich, ob die Tatsache, daß ich sie zuerst ablehnte und im nächsten Moment so angenehm fand, eine natürliche Folge des Träumens sei, oder das Produkt irgendeines energetischen Einflusses, den diese Wesen auf mich ausübten.
    »Sie sind sehr sympathisch«, sagte ich zu dem Botschafter - und im gleichen Moment fühlte ich mich überwältigt von einem Gefühl tiefer Freundschaft, oder sogar Liebe zu ihnen. Kaum hatte ich dieses Gefühl ausgesprochen, als die dunklen Gestalten auch schon davonhuschten wie rundliche Meerschweinchen und mich allein im Halbdunkel zurückließen. »Du hast zuviel Gefühl auf sie projiziert und sie verschreckt«, sagte die Stimme des Botschafters. »Gefühle sind zu schwierig für sie, und übrigens auch für mich.« Der Botschafter lachte sogar schallend.
    Hier endete meine Traumsitzung. Meine erste Reaktion beim Erwachen war, meinen Koffer zu packen und nach Mexiko zu fahren, um Don Juan aufzusuchen. Aber eine unerwartete Entwicklung in meinem Leben machte die Reise unmöglich, trotz meiner hektischen Vorbereitungen zum Aufbruch. Die Angst, die sich aus dieser Verzögerung ergab, unterbrach meine Traumübungen für einige Zeit. Nicht,

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