Die Kunst, frei zu sein
führt zu Angst. Angst führt zum Einkaufen. Einkaufen führt zu Schulden. Und Schulden führen uns zurück zur Angst.
Eine andere einfache Lösung für die Angst besteht darin, sich einer fatalistischen Theologie zuzuwenden. Zum Beispiel sind Katholiken wahrscheinlich weniger ängstlich als Protestanten, und Buddhisten sind mit Sicherheit weniger ängstlich als Juden. Wenn man glaubt, dass man kaum etwas Vernünftigeres tun kann, als sich zu amüsieren, schwindet die Angst ebenfalls. Wenn man jedoch eine puritanische Haltung vertritt und meint, eine schrecklich wichtige Rolle in der Welt zu spielen und etwas leisten zu müssen, dann erhöht sich die Angst. Wichtigtuerei erzeugt Angst (siehe Kapitel 24). Wir müssen lernen, uns keine Sorgen zu machen. – Nicht im Sinne des Egoismus, sondern im Sinne der Sorglosigkeit. Heutzutage rühmen wir uns, »fürsorgliche Menschen« zu sein, und werfen Blumen auf die Gräber von Fremden, um etwaigen Betrachtern unseren »fürsorglichen« Charakter zu demonstrieren. »Ich bin ein wirklich fürsorglicher Mensch«, sagen wir – was nichts anderes bedeutet, als dass wir uns die Probleme anderer ohne jeglichen Nutzen aufladen. Das Gerede von Fürsorglichkeit ist scheinheilig.
Also befreie dich von der Fürsorglichkeit. Es ist deine revolutionäre Pflicht als Freiheitssucher, fröhlich und sorglos zu werden. Hör auf zu arbeiten; hör auf einzukaufen; fang an zu leben. Feiere und trinke. Iss Kapaune und guten Schinken. Trink Gewürzweine und vortreffliche Biere. Sieh zu, dass dein Tisch unter Speisen ächzt. Stell Marmelade und Chutney her. Spiel Drehorgel. Ich habe gerade meinen Haus-Pub in ein Musikzimmer verwandelt. Wir haben ein altes Nachtclub-Klavier gefunden, das fast nichts gekostet hat. Nun können wir gemeinsam Lieder um den alten Klimperkasten herum singen. Genau wie deine Angst ein Produkt deiner Fantasie ist, wenn auch unter dem Einfluss der kommerziellen Welt, hat deine Fantasie die Macht, sie durch guten Mut zu ersetzen.
FAHR RAD
* Anti-Social Behaviour Order, besonders auf Jugendliche, die ihre Nachbarn belästigen, zielende Auflagen (Anm. d. Übers.)
2
Wirf die Fesseln der Langeweile ab
Lass andre über die bösen Zeiten klagen.
Ich klage darüber, dass sie jämmerlich sind,
denn sie sind ohne Leidenschaft …
Mein Leben wird einfarbig.
Kierkegaard
Wäre die zeitgenössische Wissenschaft aufgeklärter und scharfsichtiger, dann würde sie mit Sicherheit Langeweile als einen der größten Mörder der modernen Welt einstufen. Der belgische Schriftsteller Raoul Vaneigem, einer jener anarchischen Drückeberger, die Situationisten genannt werden, und ein Freund von Guy Debord, stellte in Handbuch der Lebenskunst für die jüngeren Generationen (1967) fest: »Die Menschen sterben an Langeweile.« Ich glaube, dass dies im Wortsinne zutrifft. Trägheit und Langeweile sind nicht nur Feinde des fröhlichen Lebens, sondern Mörder. Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn man eines Tages feststellte, dass Langeweile krebserregend ist.
Die Langeweile wurde im Jahr 1760 erfunden. Das war das Jahr, in dem man das Wort, wie der Hochschullehrer Lars Svendsen in seiner ausgezeichneten Untersuchung Kleine Philosophie der Langeweile (2005) schreibt, zum ersten Mal im Englischen benutzte. Die andere große Erfindung jener Zeit war die Spinning Jenny, eine frühe Spinnmaschine, die den Beginn der industriellen Revolution ankündigte. Mit anderen Worten: Die Arbeitsteilung und die Verwandlung von angenehmer, unabhängiger Tätigkeit in ermüdende Sklavenarbeit ließ also die Langeweile entstehen.
Und wir sind äußerst gelangweilt. Wenn man zwischen 15 und 17 Uhr Chat-Rooms und Foren im Internet aufsucht, stößt man auf Hunderte von Mitteilungen, in denen Büroangestellte klagen: »Ich bin gelangweilt, gelangweilt, gelangweilt!« Diese Hilferufe, diese verzweifelten Aufschreie gefangener Geister sind wie Flaschenbotschaften, die in den Äther, in die Ozeane des Cyberspace hinausgesandt werden. Die Büroangestellten hoffen, dass jemand dort draußen sie hört und ihnen vielleicht zu Hilfe kommt. Aber die Chancen sind natürlich gering.
Vor einiger Zeit habe ich an der Zusammenstellung eines Buches mit dem Titel Crap Jobs (Drecksarbeiten) mitgewirkt. Wir hatten die Leser des Idler gebeten, uns ihre Geschichten über die Hölle am Arbeitsplatz zu schicken, und mir fiel auf, wie viele die Langeweile als einen der schlimmsten Aspekte ihres Arbeitslebens anführten.
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