Goliath: Roman (German Edition)
Kapitel 1
25. Januar 2010
Atlantischer Ozean
Seine-Tiefsee-Ebene
112 Seemeilen südwestlich der Straße von Gibraltar
Eine Fontäne aus Luft und Wasser ausstoßend, durchbricht der majestätische Koloss die Wasseroberfläche. Die sichelförmige Rückenflosse gleitet durch die Wellen, der große Schwanz schlägt herausfordernd ins Wasser, bevor das Tier wieder in der Gischt versinkt.
Mit einem Gewicht von bis zu hundertdreißig Tonnen ist der Blauwal das bei Weitem größte Tier, das je auf der Erde gelebt hat. Oft erreicht er eine Länge von über hundertfünfunddreißig Metern. Ein Herz von der Größe eines Kleinwagens lässt zehn Tonnen Blut durch seinen Körper zirkulieren. Mit seiner gewaltigen Masse ernährt sich der Meeressäuger nicht räuberisch, sondern lebt von Plankton, kleinen Meeresorganismen, die er mit seinen Barten aus dem Wasser filtert. Seine Hauptnahrung ist Krill, kleine, garnelenähnliche Krebstiere.
Noch einmal steigt die Walkuh auf und führt ihr zwei Monate altes Kalb an die Oberfläche, damit es zwischen den aufgewühlten Wogen mühsam Atem holen kann.
Dreihundert Meter tiefer zieht ein bedrohlicher Schatten leise durch die Tiefe. Dämonische pupillenlose Augen, starr und scharlachrot, leuchten im schwarzen Wasser. Alle Lebewesen, die den gigantischen, von Dunkelheit umhüllten Leib wahrnehmen, stieben auseinander.
Der Schatten registriert die Bewegung hoch über sich, entfernt sich mit einer scharfen Wendung vom Meeresboden und steuert die beiden Blauwale an.
Als das Ungetüm die wogenden grauen Schleier der höheren Wasserschichten erreicht hat, enthüllen die gebrochenen Sonnenstrahlen die geflügelte Silhouette eines riesigen Stachelrochens. So lautlos schwimmt er dahin, dass die Walkuh sein Nahen erst bemerkt, als er sie schon fast erreicht hat. Mit einer panischen Bewegung schlägt das erschrockene Muttertier mit der Schwanzflosse und drängt sich über sein Kalb, um es vor den Kiefern des Jägers zu beschützen.
Der unheimliche Gigant setzt seine Verfolgung fort. Immer näher kommt sein flaches, dreieckiges Maul den wirbelnden Schwanzflossen der flüchtenden Meeressäuger, die einen Strudel aus Luftbläschen hinter sich herziehen.
Zu einem Angriff kommt es jedoch nicht. Der Rochen hält eine Flossenlänge Abstand von der wild schlagenden Fluke der Walkuh, als wolle er seine Beute mit einem furchtbaren Katz-und-Maus-Spiel verhöhnen. Jäger und Gejagte hetzen durch die Thermokline, die dünne Wasserschicht, die die von der Sonne erwärmte Oberfläche von der kälteren Tiefe trennt.
Nach einer Weile ist der dunkle Koloss der Jagd müde. Unvermittelt beschleunigt er, gleitet unter den verängstigten Walen hindurch und lässt sie in den Turbulenzen seiner Schwingen taumeln, während er in die schweigende Tiefe zurückkehrt.
Dunkelheit und Kühle umgeben den Stachelrochen, der bis auf das teuflische Glühen seiner unheimlichen Augen vollkommen schwarz ist. In zweihundertsiebzig Metern Tiefe gleitet der stromlinienförmige Leib mühelos in die Waagrechte. Hoch über dem öden Grund des Tiefseebeckens setzt die Kreatur ihre Reise nach Westen fort, wo ihre wahre Beute wartet.
Atlantischer Ozean
35 Seemeilen westlich der Straße von Gibraltar
15.12 Uhr
Unter dem mausgrauen Winterhimmel durchpflügt der amerikanische Flugzeugträger Ronald Reagan ( CVN 76) den Ozean. Sein stählerner Bug bahnt sich mit einer konstanten Geschwindigkeit von zwanzig Knoten einen Weg durch die knapp vier Meter hohen Wellen.
Unter Deck übersieht Captain James Robert Hatcher, der zweiundfünfzigjährige Kommandant der Ronald Reagan , geflissentlich das Grinsen seiner Untergebenen, als er den Fitnessraum verlässt und im Laufschritt einen der beiden Zentralkorridore des Schiffs entlangeilt. Nachdem er geschickt ein Dutzend wasserdichte Türen geöffnet und hinter sich geschlossen hat, erreicht er den zentralen Kommando- und Kontrollbereich für den Flugzeugträger und sein Geschwader.
Die Ronald Reagan ist eine wahre Festung der modernen Kriegführung. Gut dreihundert Meter lang und mit einer Infrastruktur aus Aufbauten, die bis zu zwanzig Stockwerke hoch über der Wasserlinie aufragen, ist der Flugzeugträger der Nimitz-Klasse das bei Weitem größte und mit siebenundneunzigtausend Tonnen auch schwerste Wasserfahrzeug der Welt. Trotz seiner gewaltigen Größe ist das Schiff alles andere als langsam – seine vier von zwei Kernreaktoren angetriebenen Schrauben, jede mit einem Durchmesser von über
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