Die Kunst, frei zu sein
Gesellschaft als Spektakel (1967) drückte der unglaublich sorglose Situationist Guy Debord es folgendermaßen aus:
Dieser Arbeiter, von der vollständigen Verachtung plötzlich reingewaschen, die ihm durch alle Organisations- und Überwachungsbedingungen der Produktion deutlich gezeigt wird, findet sich jeden Tag außerhalb dieser Produktion, in der Verkleidung des Konsumenten, mit überaus zuvorkommender Höflichkeit scheinbar wie ein Erwachsener behandelt. Da nimmt der Humanismus der Ware den Arbeiter »in seiner arbeitslosen Zeit und als Mensch« in die Hand ganz einfach deswegen, weil die politische Ökonomie diese Sphären beherrschen kann und muss.
Die Welt des Kommerz behandelt uns alle wie Stars: »weil du es wert bist«. Ihre Vertreter rutschen vor uns auf dem Bauch bis zu dem Moment, in dem wir unsere Kontendaten herausrücken. Dann werden wir beiseitegestoßen und für alle Ewigkeit ins Fegefeuer – in die Warteschleife einer Kundendienstleitung – verbannt. Was für Idioten wir sind.
Der gesamte Apparat der modernen Staatskontrolle dient ebenfalls dem Zweck, uns nervös zu machen. Die Institutionen und Geräte, die unserem Komfort und unserer Sicherheit dienen sollen, bewirken genau das Gegenteil, weil sie uns dauernd an Gefahren erinnern: Polizei, Blitzer, Überwachungskameras, Warnanlagen. Die beiden finsteren Gefängniswärter Gesundheit und Sicherheit werden von den Manipulateuren benutzt, um unsere Freiheit immer stärker zu gängeln. Hier lohnt ein Blick in die Geschichte: Als der britische Innenminister Robert Peel beispielsweise 1828 die Gründung der Polizei vorschlug, ging ein gewaltiger Aufschrei durch die Bevölkerung, die dies als Angriff auf ihre Freiheit empfand. Bevor eine der Regierung unterstellte Polizei eingeführt wurde, waren lokal gewählte Konstabler für die Einhaltung der Gesetze zuständig. Heute gibt es einen riesigen Staatsapparat, der sich vielleicht 50000 unverbesserlichen Kriminellen im Land widmet, worunter auch die 60 Millionen gesetzestreuen Bürger zu leiden haben. Denn diese Einrichtungen schränken unsere spontane Lebensfreude, unser Vergnügen ein.
Ich bin gegen Kriminalität, aber nicht weil ich moralische Einwände gegen Rechtsbrüche hätte – im Gegenteil, ich fühle mich zu Kriminellen und ASBO * -Kids gerade deshalb hingezogen, weil ihr Verhalten signalisiert, dass sie nicht bereit sind, sich der Obrigkeit unterzuordnen. Straffälligkeit ist ein Zeichen des Lebens. Ich bin gegen Verbrechen, weil sie das Regierungssystem stärken: Jedem Verbrechen folgen zehnfache Angriffe auf die persönliche Freiheit aller Bürger. Eine Bombe führt zu tausend neuen Gesetzen. Regierungen lieben die Kriminalität, denn sie liefert ihnen eine Existenzgrundlage – den Schutz der Bürger – und einen Vorwand dafür, Kontrolle über uns auszuüben. Deshalb sollte der wahre Anarchist kriminelle Taten um jeden Preis meiden.
George Orwells Roman 1984 wird auch in anderer Hinsicht Realität. Während ich diese Zeilen schreibe, bemüht sich die amerikanische Regierung um einen gerichtlichen Zugang zu den Unterlagen von Google. Die Suchmaschine zeichnet all unsere Internetrecherchen auf und kann dadurch einen Einblick in die innersten Vorgänge unseres Geistes geben. Das Internet ist in Gefahr, von einem Instrument der Befreiung zu einem Instrument der Überwachung, einem Spion in jedem Heim, zu werden. Das Gleiche könnte mit unseren E-Mails geschehen. Unsere intimste Korrespondenz wird registriert, aufgezeichnet, gespeichert und für immer auf einer gigantischen Festplatte verwahrt, damit die Behörden sie bei Bedarf überprüfen können. Big Brother beobachtet uns nicht nur, er belauscht uns auch und späht sogar in unsere Gehirne und inspiziert den Inhalt unserer Seelen. Schlimmer noch: Wir haben uns diesem System freiwillig unterworfen. So etwas kam bei der Royal Mail nie vor. Und nun naht im Vereinigten Königreich eine neue Gefahr für unsere Bürgerrechte in Form von Personalausweisen, auf denen man unsere Vergehen festhält.
Angst und die Tatsache, dass wir von Angst auslösenden Faktoren umgeben sind, bilden den Kern des kapitalistischen Projekts. Deshalb sage ich: »Es ist nicht deine Schuld.« Überall pflegt man den gleichen Mythos: Du bist nur ein Objekt vom Glück entfernt. Es könnte das neueste U2-Album sein oder die Spende an eine Wohltätigkeitsorganisation, eine umfassendere Versicherungspolice, eine andere Kreditkarte, ein fabelhafter Urlaub, ein besserer
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