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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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für jetzt doch lassen …« 6 Was ist vorgefallen? War sich Platon bei der Frage nach dem Guten tatsächlich so unsicher? Oder hatte er strategische Gründe, das Gute trotz Sonnengleichnis so unbeleuchtet zu lassen? Die Platonkenner sind sich nicht einig. Auch eine Schrift über Platons späte Lehrveranstaltungen scheint das Problem nicht zu lösen. In dieser Schrift nämlich setzt Platon das Gute mit »dem Einen« gleich - also mit Gott. So betrachtet würde das Bild funktionieren: Die gleiche Kraft, die mit der Sonne die Natur durchwirkt, durchwirkt mit dem Guten unser Dasein. Genau auf diesen Zug springen die frühen christlichen Denker später auf und definieren Gott als das Wahre und das Gute zugleich: »Ich bin das Licht, die Wahrheit und das Leben!« Der Wahrheit halber aber sollte man hinzufügen, dass die »ungeschriebene Lehre« von Platons Vorlesungen in der Akademie nicht vom Meister selbst stammt. Ob Platon das Gute tatsächlich mit dem Einen gleichgesetzt hat, bleibt spekulativ. 7
    Ein Fazit bleibt auf jeden Fall das gleiche: Das Gute bleibt unaussprechlich. Das »größte Lehrstück«, wie Platon das Gute nennt, ist zugleich das größte Leerstück. Und so kreisen die Dialoge unentwegt um eine große Unbekannte. An einer Stelle beschreibt Platon das Gute als unverzichtbaren Nährstoff für das »Gefieder der Seele« - was für ein wunderschönes Bild! 8 Aber wie alle wunderschönen Bilder auch arg schillernd. Ohne das Gute, so könnte man immerhin folgern, ist der Mensch ein gerupftes Huhn. Aber erst Platons hochbegabter Schüler Aristoteles, der bedeutendste Naturwissenschaftler seiner Zeit, wird sich die Mühe machen, das Seelen-Gefieder zoologisch näher zu bestimmen. Doch davon später.

     
    Platons große Leistung ist es, dass er die verlogene und arrogante Moral vieler seiner Zeitgenossen entlarvte. Die »Herrenmoral« und ihr unhinterfragtes »Recht des Stärkeren« hielten seiner Prüfung nicht stand. Stattdessen zwang er die Gesprächsteilnehmer des Sokrates, sich für ihre Einstellung und ihre Taten zu rechtfertigen. Doch was hatte er selbst anzubieten? Für Platon ist das Gute eine letztlich unerklärbare Essenz, die unser Leben »von oben herab« durchwirkt; eine übergeordnete Größe, erhabener als die menschliche Existenz. Das Gute gäbe es auch dann, wenn es keine Menschen gäbe. Es ist unsichtbar, im Großen und Ganzen unbegreifich, aber ohne Zweifel objektiv vorhanden. Mit meiner persönlichen Meinung hat das Gute so wenig zu tun wie mit meiner Meinung über die Sonne oder ein ungesalzenes Radieschen. Die Aufgabe lautet: Wie kann ich mich in der Erkenntnis des Guten so schulen, dass ich ein durchweg gutes Leben führe? Denn wenn mir dies gelingt, wenn ich das Gute bei mir trage wie einen gut geeichten moralischen Kompass, dann habe ich das Zeug zum Vorbild für alle anderen, mithin zum »Philosophenherrscher«.
     
    Nach Platon ist es das höchste Ziel, ein Mensch zu werden, der immer weiß, was er tun soll, der jede Situation moralisch richtig gewichtet und sich mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen Alternativen entscheidet.
    Tja, wenn man das nur immer könnte … Klingt das nicht viel zu schön, um wahr zu sein? Oder sollte man nicht lieber seufzen: wie langweilig! In jedem Fall heißt die Frage: Ist solch ein Leben überhaupt möglich?
     
    • Rivalen der Tugend. Das Gute gegen das Gute

Rivalen der Tugend
    Das Gute gegen das Gute
    Gutmensch m., Besessener, der sein Leben verpasst, indem er immer nur das Gute denkt und tut. Weil das Gute zugleich auch das Richtige sein soll, geraten die Gutmenschen frühzeitig in eine bedrohliche Schlinger- bewegung: Das Richtige verfällt fortwährend, aber das Gute muss jedem Verfall standhalten. Beim immer bedenklicheren Spagat zwischen dem Richtigen und dem Guten erleiden viele Gutmenschen einen Beckenbruch.
    Guy Rewenig
     
     
    Lassen Sie uns ein kleines Spiel machen: Stellen Sie sich einmal vor, Sie besäßen ein unermessliches Vermögen. Sagen wir zum Beispiel zehn Milliarden Euro. Eine unvorstellbar große Summe (wenn man sie nicht gerade zur Rettung einer Bank ausgibt). Dieses viele Geld braucht kein Mensch, und auch Ihre materiellen Bedürfnisse sind vollends befriedigt. Sie können das Geld also ausgeben, und zwar für einen guten Zweck. Und jetzt sind Sie an der Reihe.
    Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn? Vielleicht denken Sie an die Millionen hungernden Kinder in der Sahelzone, in Äthiopien oder in Indien. Oder der

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