Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
sie kurzerhand in den Arno.
Nach der Brücke hielt er sich rechts am Ufer, warf im Vorbeireiten einen grüblerischen und dennoch stolzen Blick auf die von ihm erbauten Uffizien, um dann links abzubiegen und schließlich rechts in den Borgo Santa Croce zu gelangen. Zur Straße hin geizte sein Haus mit den Ausmaßen der Fassadenfront. Nur drei Rundfenster fanden gerade nebeneinander Platz. Dafür bot das Gemäuer ungeahnt viel Raum in der Tiefe und umschloss einen heiteren Innenhof, den er über alles liebte. Er sprang vom Pferd und rief nach Giuseppe. Der Hausdiener erschien wenig später auf der Straße. Er machte große Augen.
»Messèr Giorgio! Wir haben Euch gar nicht erwartet!«
Gleich darauf hörte Vasari im Vestibül das Rascheln eines Kleides.
»Giorgio?« Seine Gemahlin schien es kaum glauben zu können, so unsicher klang ihr Ruf. Nicht ein einziges Mal in den fast fünfundzwanzig Jahren ihrer Ehe war es vorgekommen, dass er ohne Vorankündigung heimgekehrt war. Sie strahlte wie ein kleines Mädchen, das man aufs Schönste überrascht hatte.
Niccolosa, die er zärtlich Cosina nannte, ein Kosename, in dem leider auch die Vorstellung eines Kleinen und Nebensächlichen mitschwang, war eine kraftvolle, aber anmutige Frau, die ihn ein wenig überragte. Ihre schwarzen Augen hatten etwas Durchdringendes. Mit den Jahren hatte sich jedoch eine leise Trauer eingeschlichen und war zum ständigen Gast ihres Blicks geworden. Vasari wusste nur zu gut, was er ihr zumutete. Nie hielt er es lange zu Hause aus. Immer trieb es ihn zu Projekten, zu den Freunden, zu Kunstwerken, die er mit eigenen Augen ansehen wollte, so als gäbe es kein Morgen, sondern nur diesen einzigen, heutigen Tag. So führte Cosina die längste Zeit des Jahres das einsame Leben einer Witwe. Doch sie plagte ihn nicht mit Vorwürfen. Es waren seine Gewissensbisse ihr gegenüber, die mit der Zeit die Gefühle vergifteten, die er für sie hegte.
»Giorgio!«, rief Cosina wieder und fiel ihm um den Hals. Er ließ es über sich ergehen, dann befreite er sich sacht von ihr. »Ich brauche ein Bad.«
»Was stehst du noch herum, der Herr braucht ein Bad!«, fuhr sie in einer Mischung aus Scherz und Ernst den Diener an.
»Eines, das die Kälte aus den Knochen treibt und die Lebensgeister weckt«, fügte Vasari müde hinzu.
Cosina schaute sich suchend um. »Wo ist Ascanio?«
»Tot«, gab er einsilbig zurück.
»Tot?« Ihr immer noch schönes, rundes Gesicht verdüsterte sich. »Nun ja, das Alter …«
»Wir wurden überfallen. Er hat mir das Leben gerettet«, sagte Vasari barsch. Dann tat es ihm leid, dass er sie so angefahren hatte. »Ach, Cosina, lass mich erst einmal ankommen. Ich erzähle dir später alles. Jetzt brauche ich ein Bad, wenn ich mir nicht mit Ascanio ein Wettrennen liefern soll, wer zuerst im Himmel ankommt. Auch wenn seine Seele einen kleinen Vorsprung hat, kann ich ihn immer noch einholen.«
61
Florenz, Anno Domini 1574
»Giorgio?« Überraschter noch als Cosina reagierte Vasaris Freund Vincenzo Borghini auf seine Rückkehr nach Florenz, obwohl er der einzige Mensch auf der Welt war, der immer mit ziemlicher Sicherheit Auskunft geben konnte, wo sich Messèr Vasari gerade aufhielt. Borghini war es auch, der die Bildideen und Motive für die großen Fresken ersann, die der Künstler dann entwarf und malte. Der Prior des Findelhauses Ospedale degli Innocenti, das gegenüber der Kirche Santissima Annunziata lag, starrte Vasari, der in der Tür stehen geblieben war, wie einen Geist an. Er hatte gerade an einem Schriftstück gearbeitet.
»Ich muss dich dringend sprechen«, begann der Architekt.
»Was um alles in der Welt ist geschehen, mein Freund?« Borghini erhob sich, umarmte ihn, dann lud er ihn ein, Platz zu nehmen.
»Nein, nicht hier«, wehrte Vasari ab. Er hatte es eilig und wandte sich zum Flur. Borghini nahm einen Mantel und setzte ein Barett auf, dann folgte er dem Freund auf den Gang.
Aus einem Raum drangen glockenhelle Knabenstimmen, die sich in dem Kyrie aus der »Missa de Beata Virgine« von Josquin zu übertreffen trachteten.
Kurz darauf schritten die beiden Männer über den Platz. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, was ihnen jedoch nichts auszumachen schien. Für Außenstehende wirkten die beiden bärtigen Männer wie Gelehrte, die ins Gespräch über eine philosophische Fragestellung vertieft waren. Doch je mehr er von den Geschicken des Freundes erfuhr, desto entsetzter wurde die Miene des Geistlichen.
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