Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
antwortete er entschlossen. Instinktiv überkam ihn die Angst, sie zu verlieren. Er kannte Agostino und wusste, dass er kein Mann war, der teilte.
19
Rom, Anno Domini 1505
Die Vesperzeit spülte wie eine gewaltige Flut das Heer der Büßer in den Petersdom wie auch in die anderen sechs Wallfahrtskirchen von Rom. Die Angst, für ihre Sünden beim Jüngsten Gericht zur ewigen Pein verurteilt zu werden, trieb sie zur Beichte, zur Andacht, zur Reue und zum Erwerb von Ablässen. Hier konnten sie vor der römischen Nacht, die das schwache Fleisch zu Missetaten hinreißen würde, die Vergebung ihrer Verfehlungen erlangen, der vergangenen wie der künftigen – immer zwischen Schuld und Sühne, der Kreislauf der Ewigen Stadt. Das Hauptschiff und die Kapellen von Sankt Peter dampften geradezu von der Andacht der Gläubigen.
Als Giacomo il Catalano durch das rechte Seitenschiff zum Nordarm des Domes strebte, empfand er die unfreiwillige Komik dieses Massenandrangs zur Sündenvergebung. Mehrere Messen wurden gleichzeitig in Sankt Peter gefeiert. Die verschiedenen Gebete und Gesänge überlagerten sich und stiegen in einer wahrend Kakofonie hinauf ins Gebälk. Vielleicht war die Ketzerei auch entstanden, dachte Giacomo, weil die Menschen den Glauben zu unterschiedlichen Zeiten angenommen und nicht alle zugleich mit dem Kyrie eingesetzt hatten. Vielleicht stimmten deshalb die Rhythmen nicht zusammen. Glauben jedoch bedeutete nach seiner tiefen Überzeugung Zusammenstimmen, Homofonie nicht Polyfonie, Synchronizität nicht Asynchronizität. Und damit dieser Gleichklang entstehen konnte, bedurfte es der Priester. Sie waren die eigentlichen Kapellmeister des Glaubens.
Doch was wusste er schon? Giacomo spürte, dass seine Gewissheiten ins Wanken geraten waren. Der Besuch bei dem Bildhauer hatte ihn verunsichert. Dass die Frauen ihm schöne Augen und eindeutige Angebote machten, war er gewohnt. Noch nie aber hatte ein Mann ihn verliebt angesehen. Wenn seine Keuschheit ernsthaft bedroht wurde, dann nur durch eine Frau. So manches Mal hatte er mit sich selbst einen harten Kampf auszufechten gehabt, um der Verlockung der aufreizenden Blicke, der bebenden Busen, der schwingenden Hüften zu widerstehen. Für Männer interessierte er sich in dieser Hinsicht nicht. Im Gegenteil, die Vorstellung ekelte ihn an.
Und dennoch – der Gedanke an Michelangelo saß ihm in den Gliedern wie ein hartnäckiger Infekt. Giacomo spürte, dass er einem außergewöhnlichen Menschen begegnet war – talentiert, was er von sich nicht behaupten konnte, und ungeborgen, was er nur zu gut nachzuempfinden vermochte, weil er das Gefühl der Heimatlosigkeit und Verlassenheit kannte. Wie er selbst den Anker im tosenden Sturm des Lebens im Glauben gefunden hatte, so hielt sich Michelangelo an die Kunst. Und wie er die Religion verteidigte, focht jener für die Schönheit. Langsam begriff Giacomo, dass der Florentiner es nicht auf seinen Körper abgesehen hatte, sondern – und das wog weit schwerer – auf seine Seele.
Als er seinen Beichtstuhl erreichte, schloss er einen Moment die Augen und zwang sich zur Ruhe. Dann ließ er in Erwartung des päpstlichen Baumeisters seine Blicke im Dom hin und her wandern. Durch die Fenster im Obergaden brach das Abendlicht und schwebte dem Schein der Kerzen entgegen, um sich mit ihm zu einer magischen Dämmerung zu vereinen.
Zu dieser Zeit, wenn das Licht von außen schwächer wurde und der Kerzenschein in der Kirche an Helligkeit zunahm, gab es für ihn keinen schöneren Ort auf der Welt. Nachtlicht und Menschenlicht verschmolzen wie die Liebenden im Hohelied: »Wer ist, die da erscheint wie das Morgenrot, wie der Mond so schön, strahlend rein wie die Sonne, prächtig wie Himmelsbilder?«, sagte er leise vor sich hin. Nur in jenen Stunden überkam ihn das Gefühl, dann aber mit ganzer Gewalt, dass Gott hier wohnte. Umso behutsamer musste man mit seiner Wohnstätte umgehen. Giacomo konnte den Allmächtigen fühlen, schmecken, riechen, umarmen. Ihn beherrschte nur noch der Wunsch, die Physis abzustreifen, und dann, so verrückt es auch klingen mochte, glaubte er tatsächlich, Gott stofflich wahrnehmen zu können, genau in dem Moment, in dem er die eigene Körperlichkeit abzulegen begonnen hatte. Aber es genügte nicht, denn mochte seine Seele sich auch auf seine Schultern stellen, so wagte sie es letztlich doch nicht, sich von seinem Schlüsselbein, seiner Leiblichkeit abzustoßen und in den Äther aufzusteigen. Einmal hatte
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