Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
eilte.
»Bleibt, Frà Giacomo, so bleibt doch …«, rief Michelangelo und schaute ihm wie benommen nach. Nach einer Weile kniete er mit Tränen in den Augen nieder, sammelte die Papierfetzen vom Boden auf und fügte das Blatt wieder zusammen. Dann schrieb er weiter:
»Was kann dir deine Sonne anders bringen
Als Tod? Und nicht den Tod des Phönixlebens.
Wen ’s freut, sein eigenes Fallen zu erzwingen,
Dem bleibt die beistandvollste Hand vergebens.
Mein Sinn erkennt, die böse Wahrheit sieht er,
Doch hat in mir ein Herz sich eingelassen,
Das bringt mich um, je mehr ich mich ergebe.
Bei zweien Toden hält sich mein Gebieter;
Den will ich nicht, und den kann ich nicht fassen,
Und Leib und Seele stirbt in dieser Schwebe.«
Nachdem er den letzten Punkt gesetzt hatte, verließ Michelangelo seine Werkstatt. Er musste hinaus, brauchte Luft zum Atmen. Auf der Straße kläffte ihn ein Hund an, dem er einen heftigen Fußtritt versetzte. Ziellos durchstreifte er den Borgo. Kurz erwog er, seiner Pietà im Dom einen Besuch abzustatten, sah aber dann doch davon ab. Ein Straßenjunge – so jung, dass er noch frisch wirkte – bot sich vor Sankt Peter feil und schlich um ihn herum. Sollte er ihn mitnehmen? Eine ungeheure Sehnsucht nach der Wärme eines menschlichen Körpers ließ ihn erzittern. Plötzlich sah er Contessina vor sich, wie sie damals in ihrem Zimmer auf dem Bett gesessen hatte, nur mit Schleiern bekleidet. Und wie damals fühlte er wieder auf der Treppe ihren kalten Blick auf sich ruhen. Heute verstand er, dass durch seine Ablehnung etwas in ihr zerbrochen war, dass er das Mädchen in ihr getötet hatte. Er schüttelte den Kopf. Der Junge verstand und machte sich auf die Suche nach einem anderen Freier. Er musste nicht lange suchen, denn ein korpulenter Franzose, wie Michelangelo unschwer an der Kleidung erkennen konnte, kam auf ihn zu. Der Dicke flüsterte dem Jungen etwas zu, der wie ein Schauspieler sogleich seinen unschuldigen Gesichtsausdruck aufgab und ein aufreizendes Lachen von sich gab. Michelangelo ahnte, wohin das führen würde. Bei seinen Aufenthalten in den Bordellen von Florenz hatten ihm die Huren, die er für Giovanni de Medici zeichnete, verraten, dass sie französischen Kunden lieber aus dem Weg gingen. Die Deutschen waren höflich und die Engländer witzig. Die Franzosen jedoch hatten oft nur allzu ausgefallene Wünsche, und das bedeutete Anstrengung und zuweilen auch harte Arbeit. Der Junge tat Michelangelo leid. Warum hatte er ihn nicht mitgenommen, ihm zu essen, zu trinken und schließlich Geld gegeben, ohne etwas von ihm zu fordern?
Warum nicht? Weil er kein Geld zu verschenken hatte. Julius II. hatte ihn für den Entwurf gut entlohnt und würde für das Grabmal sicher eine märchenhafte Summe bezahlen. Michelangelo konnte es sich selbst nicht erklären, aber Geld auszugeben, tat ihm körperlich weh. Nie wieder in seinem Leben wollte er so arm sein wie in dem Moment, als er Contessina gehen lassen musste, weil er nicht um sie freien durfte. Im Gegenteil, er brauchte Geld, viel Geld, damit seine Familie – er eingeschlossen – wieder den alten Rang einnehmen konnte. Deshalb musste er Geld verdienen und durfte es nicht unnötig ausgeben. Aber wenn der hübsche Dominikaner sich ihm anstelle des Jungen angeboten hätte, fragte er sich, ohne sich eine Antwort zu erlauben, hätte er für Giacomo gezahlt?
Auf dem Heimweg nach der Audienz beim Papst verging eine ganze Weile, bis Bramante sich wieder beruhigt hatte. Bis dahin folgte ein Wutanfall auf den nächsten. Zu tief hatte Michelangelo ihn in seinem Stolz verletzt. Natürlich konnte er bei Julius nicht direkt gegen ihn vorgehen. Damit würde er nur das Gegenteil dessen erreichen, was er bezweckte. Kurz erwog er, für ein paar Münzen einen Meuchelmörder anzuheuern, um den Florentiner zu den Fischen zu schicken, besann sich dann aber eines Besseren. Bei allem Zorn konnte er einen so begabten Bildhauer nicht einfach töten lassen. Das wäre ein Frevel gewesen, den Bramante nicht auf sein Gewissen laden wollte. Es musste andere Wege geben. Nur welche?
Mit hochrotem Gesicht schritt er so eilig aus, wie es ihm seine Statur und seine Füße erlaubten. Er keuchte laut, denn sein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Am meisten sorgte er sich jedoch um seinen Verstand, der ihm zu entgleiten drohte. Die Häuser schnitten ihm Fratzen, und Schmach, Schmach, rief es ihm von allen Ecken und Enden der Stadt entgegen.
Als er endlich wieder zu
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