Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Prolog
Mein Name ist Bob Koman. Ich bin 28 Jahre alt und von Beruf Kinder- und Jugendpsychologe.
Zu Beginn meiner Berufslaufbahn wurde ich in einem Heim für schwererziehbare Jungen eingestellt. Meine Aufgabe sollte darin bestehen, Konflikte unter den Jungen zu lösen und deren seelisches und psychisches Wohl zu fördern. Mit anderen Worten, die Aufgabe einer Vertrauensperson erfüllen, um das Gleichgewicht zwischen Lehrern, Lehrstoff, Disziplin und verunglückten Kinderseelen herzustellen und zu erhalten.
Ich sah bei meinem Berufseinstieg als ehemaliger Student der Psychologie und Pädagogik eine großartige Herausforderung darin, in solch einem Heim anzufangen. Mit ein paar Schul-Kiddies würde ich unter Garantie meinen ersten Berufserfolg verbuchen können.
Bereits in meiner vierten Woche im Heim holte Mr. Mintz, der Leiter der Institution, einen Jungen aus Leadville, einer Kleinstadt in Colorado, zu uns.
Sein Name war Christopher Gelton. Ein hübscher Knabe mit dichtem, dunkelbraun glänzendem Haar, dunkelbraunen Augen, tadellos weißen Zähnen und einem strahlenden Lächeln. Allerdings sah sein rechtes Auge etwas lädiert aus. So, als hätte er gerade eine Prügelei hinter sich gehabt. Unter dem Auge verlief eine drei Zentimeter lange Narbe quer über seine Wange. Sie war gut verheilt, aber sichtbar.
Jeder Junge, der in diesem Heim aufgenommen wurde, hatte eine Geschichte.
Die Unterlagen, die ich zu Beginn meiner Tätigkeit zu lesen bekam, glichen einander. Meistens steckte ein gewalttätiges Elternhaus, Kriminalität, Drogen, Alkohol oder gar der plötzliche Tod eines oder beider Elternteile dahinter, was eine große Verlustangst in den Kindern verursacht. Deswegen unterscheidet sich das Verhalten der Jungen auch nicht großartig voneinander.
Das Heim, in dem ich arbeitete, war ein sozialer Brennpunkt, wo Aggressionen, Wut und Hass auf Disziplin, Regeln und Sanktionen prallten.
Schnell entwickelte ich ein Konzept aus den Vorstellungen der Heimleitung und den Fähigkeiten der Jungen, das einigermaßen angenommen wurde und funktionierte.
Bis dato.
Zwei Tage vor der Ankunft von Christopher Gelton hatte Mr. Mintz mir die Unterlagen des Jungen eingereicht, damit ich mich auf die Neuaufnahme einstellen konnte. Es war wichtig zu wissen, mit welchem Hintergrund sich dieser Junge hier einfinden würde.
Schon fast routiniert begann ich seine Unterlagen zu studieren. Doch je weiter ich las, desto stärker unterschieden sie sich von denen, die ich bisher gelesen hatte. Damit will ich sagen: So etwas hatte ich noch nie zuvor gelesen – selbst während meiner Studienzeit nicht.
Ich ertrank in einer Informationsflut, die ich nicht mehr sortiert bekam. Das war der Moment, in dem ich mir zum ersten Mal wünschte, diesen Beruf niemals ergriffen zu haben. Und dennoch, ich musste mich als Jugendpsychologe in diesem Heim durch den Dschungel dieser Tatsachen und Herausforderungen hindurchschlagen. Also begann ich direkt mit der Vorgeschichte der Eltern von Christopher Gelton, um von dieser Seite einen ersten Eindruck zu gewinnen.
Ich möchte jetzt nicht seitenlang über diese Akte rezitieren, sondern nur eine knappe Zusammenfassung von dem, was ich eine Nacht lang studierte, hier aufführen. Nur, um die nachfolgende Geschichte besser zu verstehen.
Hier also vereinzelte Originalauszüge:
Christopher Gelton ist der Sohn von Dane und Sarah Gelton, geborene Newshorn. Beide sind mittlerweile verstorben. Dane Gelton wurde erschossen, Sarah Gelton erlag einem Suizid durch Tabletten.
Dane Gelton wurde als Kind über viele Jahre von seinem pädophilen Vater misshandelt und missbraucht. Seitdem lebte er mit einer gestörten Wahrnehmung. Nach einem posttraumatischen Erlebnis wurde eine genetisch bedingte Neigung zur Psychopathie bei ihm diagnostiziert. Das brachte ihn mit 38 Jahren in eine psychoanalytische Klinik, wo er seine spätere Frau Sarah kennenlernte.
Sarah Gelton hatte eine 14-jährge gewalttätige Ehe hinter sich und nutzte ebenfalls diese Klinik, um ihre Scheidung zu verarbeiten und einen neuen Anfang zu finden.
Beide wurden in dieser Klinik ein Paar. Sie zogen auf die Farm der verstorbenen Eltern von Dane Gelton in Kansas und heirateten dort.
Gelton isolierte seine Frau und erlitt schizophrene Entgleisungen. Dadurch entglitt ihm sein Beziehungsleben. Als Sarah Gelton beschloss, sich von ihrem Mann zu trennen, lief Dane Gelton Amok und tötete fünf Menschen.
Er kam in eine Psychiatrie, doch ihm gelang die Flucht. Er
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