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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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danach verspürt, mit mutmaßlichen Lebewesen aus dem All in Verbindung zu treten», sagte Serviss, wobei er mit der Geste eines Magiers, wie Wells es schien, zwei neue, randvolle Bierkrüge auf den Tisch zauberte. «Erinnern Sie sich noch an diesen deutschen Mathematiker, der das Sonnenlicht mit Hilfe von Sonnenspiegeln, sogenannter Heliotrope, auf die Planeten lenken wollte? Wie hieß der Mann? Grove?»
    «Grau. Oder Gauss», mutmaßte Wells.
    «Richtig. Gauß. Carl Gauß.»
    «Er hat doch auch den Vorschlag gemacht, in der russischen Steppe ein riesiges Dreieck-Trapez aus Fichten zu pflanzen, damit Beobachter aus anderen Welten erkennen könnten, dass es auf der Erde Lebewesen gab, die den pythagoräischen Lehrsatz verstanden», erinnerte sich Wells.
    «Ja, stimmt», lachte Serviss. «Er behauptete, jede geometrische Figur müsse als gewolltes Konstrukt interpretiert werden.»
    «Und der Astronom mit dem Einfall, in der Sahara einen großen kreisförmigen Graben anzulegen, ihn mit Kerosin zu füllen und nachts anzuzünden, um auf unsere Existenz hinzuweisen?»
    «Ja, eine perfekte Zielscheibe!»
    Wells ließ sich ein kleines Lachen entlocken, was Serviss zum Anlass nahm, ihm zuzuprosten und seinen Krug in einem Zug leerzutrinken, ihm dabei zuzwinkernd, das Gleiche zu tun. Wells fühlte sich zwar ein wenig genötigt, zeigte sich aber folgsam.
    «Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass man Spiegel am Eiffelturm anbringen will, um das Sonnenlicht auf den Mars zu lenken», bemerkte er, während Serviss schon wieder eine neue Runde orderte.
    «Heiliger Himmel, welche Hartnäckigkeit!», rief er und schob ihm den vollen Bierkrug hin.
    «Und was sagen Sie dazu», begann Wells und stellte überrascht fest, dass ihm die Zunge beim Sprechen nicht mehr recht gehorchen wollte, «dass jedermann auf der Erde zu glauben scheint, die Wesen aus dem All könnten all das sehen, was wir uns ausdenken.»
    «Als würden sie ihr ganzes Geld in Teleskope investieren», scherzte Serviss.
    Wells musste lachen. Serviss ließ sich davon anstecken und schlug sogar mit der flachen Hand auf den Tisch, was einen kleinen Aufruhr hervorrief und ihnen tadelnde Blicke des Kellners sowie in der Nähe sitzender Gäste eintrug. Doch Serviss ließ sich davon nicht einschüchtern und schlug weiterhin auf die Tischplatte ein, wobei er herausfordernd um sich schaute. Wells sah ihm voller Genugtuung zu, stolz wie ein Vater auf die Streiche seines Söhnchens.
    «So, so … dann glauben Sie also nicht, dass sich jemand die Mühe machen wird, unseren winzigen Planeten, der unbeachtet im endlosen Kosmos kreist, anzugreifen, was, George?», versuchte Serviss eine Zusammenfassung, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.
    «Ich würde sagen, nein. Wenn Sie genau hinschauen, passieren die Dinge doch nie so, wie wir es uns vorstellen. Das ist ein beinahe mathematisches Gesetz. Und daher werden wir, zum Beispiel, nie eine Marsinvasion erleben, wie ich sie in meinem Roman beschrieben habe.»
    «Ach nein?»
    «Niemals», sagte Wells im Brustton der Überzeugung. «Sehen Sie sich bloß all die Romane über Begegnungen mit Außerirdischen an, Garrett. Man könnte glauben, jeder könne so etwas schreiben. Wenn es in der Zukunft tatsächlich zu Begegnungen mit Wesen aus dem All kommen sollte, so wie wir Schriftsteller es beschreiben, wäre das ein Fall von literarischer Prophezeiung, meinen Sie nicht?»
    Wells trank einen Schluck, konnte sich aber des unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, soeben etwas Närrisches von sich gegeben zu haben.
    «Ja», räumte der andere ein, der Wells’ Ausführungen keineswegs seltsam zu finden schien, «kann sogar sein, dass unsere gutgläubigen Regierenden vermuten, die bösen Außerirdischen hätten uns all diese Ideen mittels Ultraschallstrahlen oder Hypnose ins Unterbewusstsein gepflanzt, um so die Welt auf eine kommende Invasion vorzubereiten.»
    «Wahrscheinlich!», platzte Wells heraus.
    Auch Serviss brach wieder in schallendes Gelächter aus und hieb zur Verzweiflung des Kellners und der Umsitzenden von neuem auf die Tischplatte ein.
    «Also, wie gesagt», fuhr Wells fort, als Serviss wieder zur Ruhe gekommen war, «selbst wenn es Leben auf dem Mars oder sonst einem Planeten unseres Sonnensystems gäbe …» Er deutete mit majestätischer Geste gen Himmel und stellte verwirrt fest, dass sich dort nur die von dicken Holzbalken getragene Zimmerdecke der Taverne befand. Einige Sekunden lang starrte er sie an, als wäre er tief

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