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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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fragte Serviss.
    «Keine Ahnung», antwortete Wells gleichgültig.
    «Nun, wir sind vielleicht für andere Dinge bestimmt. Möglicherweise sind wir dazu ausersehen, durch den Weltraum zu reisen anstatt durch die Zeit», tröstete sich Serviss und leerte sein Glas. «Das Firmament ist groß und unergründlich. Und es ist voller Überraschungen, nicht wahr, George?»
    «Kann sein», räumte Wells ein und rutschte auf seinem Stuhl hin und her, als säße er auf einer heißen Herdplatte. «Aber ich würde mich jetzt gern über Ihren Roman unterhalten, Mr. Ser…, Garrett.»
    Serviss straffte sich und schaute Wells wachsam an, ganz wie ein Fährtenhund, der eine Spur aufgenommen hat. Zufrieden, endlich die Aufmerksamkeit des Amerikaners gewonnen zu haben, nahm Wells einen großen Schluck von seinem Bier, um sich zu stärken und mit dem nötigen Ernst zu wappnen, mit dem das Thema behandelt werden musste. Serviss war die Geste nicht entgangen.
    «Bitte,
Garçon
, eine neue Runde, der größte Schriftsteller der Welt ist durstig!», rief er und winkte dem Kellner mit übertriebenem Gefuchtel. Dann wandte er sich wieder Wells zu und schaute ihn erwartungsvoll an. «Nun sagen Sie mir, mein Freund, hat Ihnen der Roman gefallen?»
    Wells wartete, bis der Kellner die vollen Bierkrüge auf den Tisch gestellt und ihn mit einem abschätzenden Blick gemustert hatte. Er richtete sich unwillkürlich auf und streckte unmerklich die Brust heraus, als müsse sich die Größe eines Schriftstellers nicht nur in seinen Büchern zeigen, sondern auch in seiner äußeren Erscheinung, dieser zufälligen Ansammlung von Genen, mit der wir auf die Welt kommen und deren Mangel an Autorität wir auszugleichen suchen, indem wir uns alle möglichen Arten von Bärten oder lange Koteletten wachsen lassen, teure Anzüge tragen oder fett werden, bis wir eine respekteinflößende Körperfülle erreicht haben.
    «Nun …», begann Wells, als der Kellner gegangen war und Serviss ihn erwartungsvoll anstarrte.
    «Na?» Seine Stimme klang belegt.
    «Einige Sachen sind …», ein paar Sekunden lang, in denen eine abgrundtiefe Stille zwischen ihnen stand, trafen sich ihre Blicke, «… ausgezeichnet.»
    Von Ergriffenheit überwältigt ließ sich Serviss geräuschvoll auf seinem Stuhl zurücksinken.
    «Einige. Sachen. Sind. Ausgezeichnet», wiederholte er wie in Trance, ließ sich jedes einzelne Wort auf der Zunge zergehen. «Wie was, zum Beispiel?»
    Wells griff wieder zu seinem Bier, um Zeit zu gewinnen. Was, zum Teufel, gab es in Serviss’ Roman, das man ausgezeichnet hätte nennen können?
    «Die Weltraumanzüge. Oder die Sauerstoffpillen», antwortete er, denn die Requisiten des Romans waren das Einzige, was daraus zu retten war. «Sehr … einfallsreich.»
    «Oh, danke, George! Ich wusste, dass Sie meinen Roman großartig finden würden. Ich wusste es», flötete Serviss an der Grenze zur Ekstase. «Wie hätte es auch anders sein können! Sie und ich, wir sind verwandte Seelen, literarisch gesprochen, versteht sich. Obwohl …, wer weiß, in welcher Hinsicht noch. Oh, mein Freund, wir sind dabei, etwas bisher völlig Neuartiges zu erschaffen. Ist Ihnen das bewusst? Unser beider Romane werden schon bald aus dem Mainstream der Literatur ausbrechen und eigene Wege suchen. Sie und ich, George, werden als die Väter eines ganz neuen Genres in die Geschichte eingehen. Zusammen mit Verne natürlich. Es wäre ungerecht, den Franzmann auszuschließen. Wir drei; wir drei zusammen stehen im Begriff, die Literatur zu revolutionieren.»
    «Ich habe nicht das geringste Interesse daran, ein neues Genre zu kreieren», unterbrach ihn Wells, der sich über sich selbst ärgerte, weil es ihm nicht gelang, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken.
    «Nun, ich glaube nicht, dass es in unserer Hand liegt, das zu entscheiden», sagte Serviss kopfschüttelnd und schien das Thema damit abschließen zu wollen. «Aber um auf Ihren letzten Roman zurückzukommen, George; er ist so überwältigend, mit diesen rochenförmigen Marsraumschiffen, die über London fliegen … Da wäre allerdings etwas, das ich Sie fragen möchte: Nachdem Sie
Die Zeitmaschine
geschrieben haben, wurde die Zeitreise erfunden. Fürchten Sie nicht, dass jetzt eine Invasion vom Mars folgen könnte?»
    Wells starrte ihn an und versuchte herauszufinden, ob er das ernst meinte, oder ob es sich wieder um einen seiner lachhaften Einfälle handelte; doch Serviss wartete mit vollkommen ernster Miene auf

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