Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
Weltall nicht Leben geben könnte?»
    «Nein … ja … Ich weiß nicht …», stotterte der Junge.
    «Ich wohl. Auf unserem Nachbarplaneten Mars, zum Beispiel. Hast du gewusst, dass der italienische Astronom Schiaparelli ein ganzes System von Kanälen auf der Marsoberfläche entdeckt hat, die eindeutig künstlich angelegt worden sein müssen?»
    Wells wusste, dass der Junge es wusste, und war daher nicht überrascht, dass er bestätigend nickte und einen Anflug von Interesse zeigte.
    «Nun, dann stell dir vor, auf dem Mars gäbe es Lebewesen, die uns in Wissenschaft und Technik weit überlegen wären. Und stelle dir weiterhin vor, der Mars wäre ein sterbender Planet, weil seine Bewohner ihn während der langen Zeit ihrer Existenz bis zur Erschöpfung aller Ressourcen ausgebeutet haben. Das stellt die Marsleute vor die Alternative, sich einen neuen bewohnbaren Planeten zu suchen oder als Rasse unterzugehen. Die Erde bietet sich von den Lebensbedingungen her am ehesten an, und so beschließen sie, sie zu erobern.»
    «Eine schreckliche Vorstellung …», sagte der Junge, dessen Interesse jetzt geweckt war. «Und weiter?»
    Wells lächelte und freute sich, doch noch die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich gezogen zu haben. Schließlich wusste er, dass dem Fünfzehnjährigen, der er gewesen war, solche Geschichten ebenso gefielen wie dem alten Mann, der er bald sein würde. Nachdem er Hunderte von Romanen aller Art gelesen hatte, war ihm klargeworden, dass nur solche, die irgendein phantastisches Element zwischen ihren Seiten bargen, ihm jenes unerklärlich aufblitzende Lustgefühl vermitteln konnten, das höchstens mit einem Orgasmus zu vergleichen war. Er wusste nicht, warum bei anderen Romanen dieses Gefühl ausblieb, und er verstand nicht, wie es Menschen geben konnte, die dafür nicht empfänglich waren. All dies hatte ihn zu der Vermutung geführt, seine Vorliebe für das Phantastische könne eine biologische Ursache haben; doch leider war der Stand der Wissenschaft noch nicht so weit, dass man im Gehirn eines Menschen nach dem Geheimnis seiner Leidenschaften forschen konnte.
    «Stell dir vor, die Marsbewohner kämen auf die Erde», fuhr er fort, als er sich der vollen Aufmerksamkeit des Jungen sicher war. «Sie legen sechzig Million Kilometer durch die Finsternis des Weltalls in scheibenförmigen Flugapparaten zurück, und nachdem diese auf der Erde gelandet sind, fangen sie an, ihre Kampfmaschinen zusammenzubauen, mit denen sie unsere Städte zerstören. Stell dir diese Maschinen als über zwanzig Meter hohe Monster vor, die sich auf drei biegsamen Stahlbeinen vorwärtsbewegen und auf ihrem Weg eine Spur vollkommener Verwüstung hinterlassen. Und oben aus dem Gehäuse, an der Spitze der stählernen Beine schießen sie eine Art Hitzestrahl, gegen den keine Armee der Erde etwas ausrichten kann. Mit solchen Kampfmaschinen könnten die Marsbewohner die Erde in wenigen Wochen, wenn nicht Tagen, vollständig erobern.»
    «So eine Geschichte würde ich gern einmal lesen», gab der Junge zu.
    «Nun, ich schenke dir die Idee», erwiderte Wells munter. «Dann kannst du sie schreiben, wann du willst. Und ich kann sie auch noch lesen.»
    Der Junge schüttelte den Kopf und lächelte verzagt.
    «Ich fürchte, das Schreiben liegt mir nicht», sagte er entschuldigend.
    «Vielleicht findest du mit der Zeit Gefallen daran», entgegnete Wells. «Das kann man nie wissen. Vielleicht ist das ja sogar deine Bestimmung: Schriftsteller zu werden. Wie heißt du, mein Junge?»
    «Herbert George Wells», antwortete der andere, «ein ganz schön langer Name für einen Schriftsteller.»
    «Den kannst du immer noch abkürzen», lächelte Wells und streckte ihm die Hand hin. «Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, George.»
    «Gleichfalls», antwortete der Junge und ergriff die ihm dargebotene Hand.
    So gab sich auf der Strandpromenade von Southsea ein Mann selbst die Hand, ohne dass das Universum ins Trudeln geriet oder die Anomalie auf andere Weise sanktionierte. Nachdem Wells also seine eigene warme kleine Hand geschüttelt hatte, verabschiedete er sich mit einem Kopfnicken von sich selbst und ging davon. Doch nach ein paar Schritten drehte er sich schon wieder um.
    «Ach, übrigens …», sagte er lächelnd, als hätte er das Wichtigste noch vergessen. «Wenn du eines Tages diese Geschichte schreibst, lass auf keinen Fall die Marsmenschen gewinnen; so sehr es dich auch juckt, den britischen Kolonialismus zu geißeln.»
    «Aber ich

Weitere Kostenlose Bücher