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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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hatte, und der, die er nicht mehr erleben würde – konnte er ein bisschen Glück finden und sein restliches Leben erträglich gestalten. Deswegen war er schließlich nach England gekommen. Was tatsächlich aus seinem Leben würde, interessierte ihn nicht besonders. Es sollte nur ruhig verlaufen, fern von Anspannungen und Aufregungen, die ihn wieder auf eine Zeitreise schicken könnten. Und so richtete er sein Leben ein: Er ließ sich in Weybridge nieder, fand Arbeit in einem Gemischtwarenladen, und seine Tage vergingen einer nach dem anderen wie ein stiller Bach, in den seine Angel auszuwerfen er nicht das geringste Bedürfnis verspürte. Mit einem Wort: Sein Leben war so langweilig, dass es an Lethargie grenzte.
    Ab und zu nahm er eine Kutsche, um sich sein wahres Leben anzusehen. So sah er sich in Bromley zur Welt kommen, wo seine Eltern ein kleines Porzellangeschäft führten; sah sich mit sieben Jahren den Händen des Sohns des Kneipenwirts entgleiten und sich das Schienbein brechen, als er gegen den Pflock eines der Spannseile des Bierzelts prallte; sah sich mit hochgelegtem Bein
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lesen und mit seiner wachen Intelligenz Mr. Morley beeindrucken, der der Leiter der privaten Lehranstalt von Bromley war. Er sah sich in der Tuchhandlung Rodgers & Deyner in Windsor verkümmern, wo seine Mutter eine Arbeit für ihn gefunden hatte, danach zu einem der besten Schüler in der Mittelschule von Midhurst heranreifen, von der er wieder heruntergenommen wurde, um eine Lehre im Tuchgeschäft von Mr. Edwin Hyde in Southsea zu absolvieren.
    Dies alles verfolgte Wells aus gebührender Entfernung, oft hin- und hergerissen zwischen Seelenschmerz und Nostalgie, doch stets darauf bedacht, den Ablauf der Ereignisse nicht durcheinanderzubringen. Er musste zulassen, dass sein Doppelgänger Punkt für Punkt genau das tat, was er selbst getan hatte.
    Als jedoch die Zeit kam, dass er die Lehrstelle im Tuchgeschäft von Southsea antreten sollte, beschloss Wells, dass dies der Moment war, in Erscheinung zu treten. Es gab da etwas in seinem Leben, das er schon seit langem zu ändern beabsichtigte. Er hatte lange darüber nachgedacht und alle möglichen Konsequenzen berücksichtigt, die sein Eingriff bewirken könnte, bis er zu dem Schluss gekommen war, dass dieser zu unbedeutend sein würde, um eine nennenswerte Veränderung zu verursachen. Also reiste er nach Southsea, stellte sich vor das Tuchgeschäft, in dem sein Doppelgänger vor Langeweile verging, und ließ sich von Erinnerungen umspülen. Ihm fiel wieder ein, wie unglücklich er gewesen war, weil er nicht verstehen konnte, warum seine Mutter ihn von einem Leben an Schule und Universität fernhielt und warum er stattdessen den verdammten Beruf eines Kurzwarenhändlers erlernen und bis ans Ende seiner Tage ausüben sollte, als gäbe es auf der Welt keine menschenwürdigere Tätigkeit. Ohne in den Laden zu gehen oder durchs Schaufenster zu spähen, konnte er sich zwar nicht sehen, aber doch gut vorstellen, wie er Tuchballen glattstrich, nachdem er sie den Kunden gezeigt hatte, wie er gehäkelte Gardinen auseinanderschlug und wieder zusammenfaltete, lernen musste, wie schwer es war, deutschen Damast zu rollen und Schaufensterpuppen nach Mr. Hydes unerforschlichen Absichten von hier nach dort zu schleppen. Und er sah bei all diesem Tun stets ein Buch aus der Tasche seines Verkaufskittels ragen, was ihm von Anfang an den Ruf eines geistesabwesenden, lustlosen Gehilfen eintrug.
    In diesen Erinnerungen dümpelte Wells, als er sich pünktlich aus dem Laden kommen und müden Schritts und gesenkten Hauptes zur Strandpromenade von Southsea gehen sah. Er folgte dem jungen Mann, der er einmal gewesen war, in vorsichtiger Entfernung, bis er ihn an einer Stelle stehen bleiben und aufs dunkle Wasser starren sah. Dort pflegte er fast eine ganze Stunde lang über das Für und Wider eines Selbstmords nachzudenken. Wenn so sein zukünftiges Leben aussähe, dachte sein Doppelgänger jetzt, wie Wells wusste, würde er lieber aufs Leben verzichten. Er empfand Mitleid mit dem schmächtigen Burschen auf der Strandpromenade, der sich vom Leben so betrogen fühlte. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er Selbstmord nie als einen ehrenvollen Ausweg angesehen; aber die kalte Umarmung des Wassers schien ihm im Vergleich zu dem unerfreulichen Dasein hinter Ladentheken keine allzu schreckliche Alternative. Wenn das Leben nicht halbwegs zufriedenstellend ausfiel, hörte er sich

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