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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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ERSTER TEIL
     
    Ich stütze mich mit den Unterarmen auf der stählernen Kloschüssel ab. Mein Magen zieht sich zusammen, und der Schmerz, der mich dabei durchfährt, ist unbeschreiblich. Er klingt auch nicht wieder ab. Ein immer stärker werdender Schmerz, der die Übelkeit und die totale Zerrüttung vorübergehend in den Hintergrund drängt.
    Alles in mir fühlt sich rau an, als wäre mein Körper ein großes biologisches Alarmsystem, das gerade verrücktspielt. Als hätte mein letztes Stündlein geschlagen.
    Ich stemme mich hoch und wanke von der Toilette zum Bett. Stumpf starre ich die Wand an, in Anstaltsgrün gestrichen, voller chaotischer Kratzer und unlesbarer Kritzeleien. Eingekerbte Schreie, Abschiedsnachrichten, Hirngespinste, stille Zeugnisse meiner Vorgänger.
    Meine Nerven liegen blank. Ich keuche, atme tief durch, bekomme trotzdem nicht genügend Luft. Eine Panikattacke. In den letzten Monaten hatte ich öfter welche. Aber nie so extrem.
    Ganz ruhig, Simone, nicht hyperventilieren.
    Ich halte mir die Hände vor den Mund und versuche, so ruhig wie möglich ein- und auszuatmen. Bis drei zählen. Ausatmen. Einatmen. Eins, zwei, drei. Ausatmen. Und nochmal.
    Jemand hämmert an die Tür. Meine überreizten Sinne nehmen das Geräusch kaum wahr. Die kleine Luke wird geöffnet. » Madame? «
    » J’arrive «, rufe ich, so wie im Laufe des letzten Jahres unzählige Male, wenn der Bäcker, der Postbote oder sonst wer an der Tür stand und ich nicht schnell genug aufmachen konnte. Ich komme.
    Gleichzeitig wird mir klar, dass dieser Ausruf völlig fehl am Platz ist. Ich bin gerade noch geistesgegenwärtig genug, um mir eine nasse Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. Meine Hände zittern.
    Das Schloss wird entriegelt, und in der Türöffnung erscheint ein Polizist: dunkles Haar, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er kaut auf irgendetwas herum. An seinem Ledergürtel hängen ein Pistolenhalfter, Handschellen und ein Walkie-Talkie.
    Er mustert mich mit einem Blick, irgendwo zwischen Tadel und Belustigung.
    Ich richte mich auf, und vor lauter Ekel läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Mit der Hand stütze ich mich an der Wand ab.
    Der Polizist kommt zu mir herein. Er scheint zu schweben, übernatürlich, unwirklich, wie es auch etwas Unwirkliches an sich hat, dass ich überhaupt hier bin. Ein unheimlicher Traum, aus dem ich nicht erwachen kann.
    Das darf alles nicht wahr sein, so was würde mir nie passieren. Nicht mir.
    Ich hebe den Blick und versuche, in seinen Augen zu lesen. Was er vor sich sieht, ist nicht die Mutter zweier Kinder, nicht die ehemalige Vorlesemutter und Eigentümerin stilvoller chambres d’hôtes . Sondern eine Frau mit wirrem, schweißnassem Haar, roten Flecken im Gesicht und einem T-Shirt, das ihr am Körper klebt. Er riecht meine Panik.
    Vor Scham würde ich am liebsten im Erdboden versinken. Ich habe mein Leben weggeworfen, schießt es mir durch den Kopf. Vollständig. Es ist aus und vorbei. Ich bin vierunddreißig, ich hatte alles, was ich mir nur wünschen konnte, und ich habe es weggeworfen. Mein Leben, Erics, das meiner Kinder. Und wofür?
    Oder besser: für wen?

1
     
    Ich habe ein Faible für alte Gebäude. Abbröckelnde Mauern, einstürzende Dächer, Skelette aus Holz und Stein, ohne Fenster und Türen. So etwas berührt mich. Kahl und nackt, anspruchslos.
    Während ich meine Runde mache, lasse ich die Atmosphäre auf mich wirken. Ich würde mich gern hinlegen, flach auf den Rücken, mit ausgebreiteten Armen. Ein Kind, das im warmen Sommersand wie ein Schmetterling die Flügel ausbreitet. Einatmen. Die Stimmung auf mich wirken lassen.
    Ich tue es nicht.
    Warum tun wir nie das, was wir wirklich wollen?
     
    Die Reste von Putz auf den Außenwänden hatten dieselbe Farbe wie der Himmel, der sich träge und schwer an die Gipfel der Hügel lehnte. Feuchtigkeit hatte das Material aufgebläht, die Oberfläche war von Moos bedeckt und wies Risse auf. Einzelne Teile waren abgebröckelt, sodass darunter das rötlichgelbe Mauerwerk zu sehen war. Feuchte Stellen in Form dunkler Rechtecke ließen erkennen, wo früher die Fenster und Türen gewesen waren. Efeu und Prunkwinden schlängelten sich ungehindert von außen nach innen und wieder zurück.
    Ich ging die Steintreppe hinauf zu einem Loch an der Frontseite, zwischen Brennnesseln und Unkraut hindurch, das in den Fugen Wurzeln geschlagen hatte und mir stellenweise bis zu den Schultern reichte. Meine Schuhe waren durchweicht.
    Drinnen war es

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