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Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller

Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller

Titel: Der Kopfjäger: Der 1. SPECIAL X Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Slade
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Der Albtraum
    Medicine Lake, Alberta, 1897
    Die Leiche hing umgedreht von der Decke herab, an Nägeln, die man ihr durch beide Füße getrieben hatte. Der Kopf fehlte, am Hals abgetrennt, sodass Adern und Muskeln, Arterien und Knochen in einem Kreis aus rohem Fleisch freigelegt waren. Was von dem Mann übrig war, trug immer noch die scharlachrote Uniformjacke der Northwest Mounted Police. Die Arme mit den goldbetressten Ärmeln baumelten auf den mit Sägemehl bedeckten Bretterboden herab. Unter der Leiche hatte sich eine Blutpfütze, so rot wie die Uniformjacke, gebildet. Von den Fingerspitzen des Toten tropfte Blut, aber das Klatschen eines jeden Blutstropfens in die Lache wurde von dem langsamen, unablässigen, monotonen Schlag einer Trommel übertönt, die weiter oben geschlagen wurde. Der Trommelklang kam vom Dach hinter der Falltür in der Decke.
    Wumm … Wumm … Wumm … Wumm …
    Er wachte mit einem Ruck auf.
    Seine Muskeln waren gespannt.
    Sein Verstand hellwach.
    Sein Nervensystem angespannt wie eine Bogensehne.
    Unter der Decke, die er als Kopfkissen benutzte, schloss sich Blakes rechte Hand um den Griff des Enfield Revolvers und sein Daumen zog vorsichtig den Hahn zurück. Ein Klicken war zu hören, als er gespannt war, aber das raue Tuch der Decke verschluckte das Geräusch und es verlor sich in den Stofffalten. Langsam zog Blake den Revolver unter seinem Kopf hervor und in die bittere Kälte. Dann lag er stocksteif in seinem Büffelmantel. Stumm. Lauschte. Wartete.
    Wumm … Wumm … Wumm …
    Die Nacht war kalt und mondlos. Im Norden flammten und zitterten Polarlichter über die gefrorene Landschaft, die Lichtkaskaden leuchteten auf und verblassten wieder in jenem unheimlichen Flackern, das die Indianer als »den Tanz der toten Geister« bezeichnen. Über Blakes Kopf funkelten aus dem schwarzen Samt des Himmels unzählige Sterne, während im Osten, in den Tiefen des Weltraums, rosafarbene Strahlen eines Meteorschauers die ersten schwachen Wischer der Morgendämmerung durchstachen. Es war sechs Uhr morgens.
    In den Stunden, die Blake geschlafen hatte, war ein Sturm von der Arktis hereingebrochen und begrub das Tal aufs Neue unter der Last dicht gefallenen Schnees. Um drei Uhr war der Blizzard durchgezogen. Jetzt fiel Frost aus dem kalten, dunklen Himmel und umhüllte sein Camp mit Eis – und die ganze Welt schien in grausamer Trostlosigkeit zu schlafen.
    Wumm … Wumm … Wumm-Wumm … Wumm …
    Blake hatte sein Lager 150 Meter westlich des Medicine Lake aufgeschlagen. Er lag im Windschatten einiger Fichten und mühte sich, in die Stille zu lauschen. Kein Laut lag in der Luft und kam auch nicht aus der gefrorenen Erde, und doch wusste Blake tief im Innersten seines Wesens, dass da draußen etwas war.
    Den Revolver in der Hand, den Atem anhaltend, erhob er sich langsam von der Erde.
    Wilfred Blake war ein hochgewachsener Mann mit festem Blick, der keinem anderen auswich. Der Vorschrift entsprechend trug er einen dicken, schwarzen Büffelmantel. Obwohl er fast 60 Jahre alt war, hatten es die Jahrzehnte des Kämpfens und des Aufenthalts in der freien Natur nicht geschafft, ihm seine Stärke zu rauben. Diese Stärke formte sich in seinen Schultern, seiner Brust, seinem Hals, seinem Rückgrat, das so gerade wie ein Ladestock im Lauf einer Flinte war.
    Wilfred Blake war kein unbesonnener Mann. Er hatte nicht 19 Jahre in der Armee des Britischen Empire überlebt, indem er seine Instinkte missachtete. Gerade sein Instinkt hatte ihm in jenen zahlreichen Kolonialkriegen mehr als einmal das Leben gerettet.
    1857 war Blake bei den Highlanders am Ganges und später, während des Sepoy-Aufstandes, in Cawnpore stationiert gewesen. Er hatte dort geschlafen, trotz der Schreie der Soldaten, denen man bei lebendigem Leib die Haut abgezogen und die man an improvisierte Kreuze genagelt hatte, er hatte den Brunnenschacht am Bibighar gesehen, den die Köpfe und Glieder und Rümpfe massakrierter britischer Frauen und Kinder füllten. Der Instinkt war es, der ihm den Arm geführt hatte, als sie bei Lucknow Rache nahmen, als er – in Kilt und blutüberströmt und wieder und wieder »Cawnpore!« schreiend – mit seinem Bajonett zugestochen und keine Gefangenen gemacht hatte. Und er hatte den Ruhm verspürt, während die Klänge der Dudelsäcke ihn weitertrieben.
    15 Jahre später war Blake mit der Black Watch in Afrika gewesen; Viscount Garnet Wolseley persönlich hatte Blake für den Ashanti-Feldzug ausgesucht. 1824 hatte

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