Die Lautenspielerin - Roman
Languedoc, Montagne de la Séranne September 1568
Die Sonne senkte sich bereits über den Bergen und tauchte die Landschaft in ein Meer aus Rotorange. Ein älterer Mann und ein junges Mädchen gingen gut gestimmt nebeneinander her. Der Mann pfiff eine fröhliche Melodie und wechselte den schweren Ledersack von einer Schulter auf die andere.
»O Vater!«, sagte das Mädchen. »Wir hätten nicht so viel einkaufen sollen. Mutter wird uns dafür schelten.« Dabei lachte sie, weil sie natürlich wusste, wie sehr ihre Mutter sich über die Geschenke freuen würde, die sie ihr aus Montpellier mitgebracht hatten.
»Ich hätte auch die goldene Spange noch kaufen sollen, Jeanne! Aber das machen wir, wenn wir dem Apotheker die Theorbe bringen, die er zusätzlich bestellt hat. Welch ein Segen ist dieser großzügige Pillendreher!«
Der Instrumentenbauer Endres Fry war mit dem Ausgang der Verkaufsverhandlungen in Montpellier höchst zufrieden. Im Haus des reichen Apothekers war ein Edelmann zu Gast gewesen, den die erlesene Qualität von Endres’ Handwerkskunst und das Spiel seiner Tochter derart begeistert hatten, dass dieser eine siebenchörige Diskantlaute und eine Theorbe in Auftrag gegeben hatte. Nach schwerer, entbehrungsreicher Zeit schien die Zukunft endlich wieder voller Hoffnung.
Doch die Freude der beiden zerbrach wie die dünne Wand eines Muranoglases in tausend Scherben, als sie an die Weggabelung bei Saint-Guilhem-le-Désert kamen und ihnen Brandgeruch entgegenwehte. Von hier war es nur noch eine kurze Wegstrecke bis zu den
Häusern ihrer kleinen hugenottischen Siedlung am Rande der Montagne de la Séranne. Angstvoll sah Jeanne ihren Vater an, der die Stirn runzelte und seinen Schritt beschleunigte. Je näher sie ihrem Heim kamen, desto stechender wurde der Gestank von verbranntem Holz und etwas anderem, Süßlichem, das Jeanne nicht einordnen konnte. Ihr Vater stieß einen gellenden Schrei aus und begann zu rennen. Jeannes Herz setzte einen Schlag aus, und sie fühlte eine nie gekannte, unbeschreibliche Furcht in sich aufsteigen, während sie ihrem Vater folgte, bis ihre Lungen zu bersten drohten.
Und schließlich standen sie am Weg, der in ihren bescheidenen Weiler führte. Welch ein Grauen! Das erste Haus brannte lichterloh, davor lagen die Bewohner: grässlich verstümmelte Leiber, nackt und jeder Würde beraubt. Jeanne schrie und presste sich die Hand vor den Mund, denn der Gestank von Kot und Blut war unerträglich. Selbst den Hund der Familie hatten die Schlächter gemordet, eine Lanze steckte noch in seinem struppigen Körper.
»Christine!«, brüllte ihr Vater wie von Sinnen, warf den Sack auf die Erde und stürzte ans Ende der Häuserreihe, wo sich ihr kleines Gut befand. Jeanne lief hinterher, und ihr Verstand weigerte sich zu begreifen, was sie im Vorbeirennen sah: das Neugeborene ihrer Freundin lag zerteilt neben seiner geschändeten Mutter, das ausgerissene Kinderärmchen neben der mütterlichen Hand, die es noch im Tode greifen wollte. Eine unschuldige Kinderseele konnte weder hugenottisch noch papistisch denken. Welche Bestien waren hier am Werk gewesen? Alles hatten sie verwüstet, als verbreiteten selbst die Tiere den falschen Glauben. Der Eselin des Korbmachers hatten sie den Bauch aufgeschlitzt und das Gedärm herausgezogen, den Korbmacher selbst auf seine Frau gebunden und beide mit einem Spieß durchbohrt.
Endlich gelangten sie zu den Pinien, welche die Grenze ihres Landes markierten, und fanden am stärksten Ast den Knecht erhängt. Ihr Vater rannte auf ihr Haus zu, dessen steinerne Mauern
von Ruß geschwärzt waren. Der Dachstuhl war eingestürzt, die Plünderer hatten alles Brauchbare herausgeschleppt, dabei Fenster und Türen zerschlagen und die Stallungen in Brand gesetzt. Die Feuersbrunst musste bis vor kurzem gewütet haben, denn noch rauchte und schwelte es überall. Auch hier hatten die Mörder kein Leben verschont. Die Magd hatten sie geschändet, genau wie die Milchmarie, deren Brüste sich unwirklich weiß von ihrem blutverschmierten Rock abhoben.
»Mutter, o Mutter …«, flüsterte Jeanne wie ein Gebet und wollte ihrem Vater in die Trümmer ihres Hauses folgen, doch der stieß sie zurück.
»Bleib!«, rief er und verschwand hustend im Rauch.
Weinend stand Jeanne vor den Trümmern ihres glücklichen Lebens und wagte nicht, sich weiter umzusehen. Schließlich kam ihr Vater zurück, das Gesicht versteinert, Kleidung und Haut rußverschmiert. Wie einen kostbaren Edelstein
Weitere Kostenlose Bücher