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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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den Bildschirm und geben Bescheid, sobald Sie etwas erkennen.«
    Unter anderen Umständen wäre es eine Freude gewesen, im hellen Sonnenlicht bei den warmen Frühsommertemperaturen über die spiegelglatte Oberfläche des Sees zu schweben, die Kraterwand mit ihren Büschen, Bäumen und Wiesen vor Augen. Hutter war ungemein angespannt. Trotzdem stiegen plötzlich Urlaubsgefühle in ihm auf. Warum auch sollte ich die letzten paar Tage vor dem Weltuntergang nicht genießen?, fragte er sich.
    »Halt!«, schrie Trattmann plötzlich.
    Joe musste sofort an die deutschen Soldaten in den Kriegsfilmen denken, die er in seiner Jugend jeden Samstag im Fernsehen angeschaut hatte. Die riefen auch immer »Halt!«, bevor sie einen britischen Soldaten über den Haufen schossen. Wie alt war dieser Mann eigentlich im Krieg gewesen? Egal, jetzt half er, und es ging nicht mehr um alte Rechnungen, die ohnehin längst beglichen waren.
    Neal stoppte den Motor, das Schiff glitt noch einige Meter weiter voran. Doch das war kein Problem: Das Flugzeug maß schließlich mehr Fuß, als diese Strecke betrug.
    Es brauchte eine quälend lange Zeit, bis die Kamera aus der Pendelbewegung, in die der plötzliche Stopp sie gebracht hatte, zur Ruhe kam. Der Scheinwerfer beleuchtete eine ebene Stelle im See, die in ihrer Konturlosigkeit dem Seeboden glich, den sie gerade betrachtet hatten.
    Schließlich bemerkte Neal in der äußersten Ecke des Blickwinkels etwas Eigentümliches.
    »Hier«, rief er aufgeregt, »dreh die Kamera nach Osten. Da! … Siehst du es?«
    Joe ruderte das Boot sacht zurück, um dem Umriss näher zu kommen. Sie erkannten rostige Teile auf dem Bildschirm, die aus dem Schlamm ragten. Ein Rahmen, der noch einige wenige Glassplitter festkrallte. Handelte es sich etwa um die Pilotenkanzel?
    Es war schwierig, bei der beschränkten Sicht und eingeschränkten Bildqualität einen Überblick zu behalten. Das Blech erschien dünn, fast wie Folie, kaum wie die Haut, die man auf das Gerippe eines Flugzeugs spannt. Tarnfarben, ja, aber irgendwie falsch.
    Joe hielt die Hände im Wasser und versuchte damit die Richtung zu steuern, in die das Boot auf dem See trieb. Weitere Blechteile kamen in Sicht, und aus der Flut der chaotischen Eindrücke und Details, die immer wieder auf dem Monitor aufblitzten, schälte sich nach und nach ein festes Bild heraus: Es handelte sich nur um ein Autowrack, einen Lastkraftwagen.
    Wie kam ein Lastwagen – der Tarnfarbe nach vermutlich ein amerikanisches Modell – an dieser Stelle in den See? Er konnte schließlich nicht von einer Brücke gestürzt sein.
    Neal schien Hutters Gedanken zu erraten: »Der See friert im Winter zu. Vermutlich ist er darübergefahren und eingebrochen.«
    Neal beschäftigte ein weiteres Problem: Auch diese Stelle war mit dem Echolot untersucht worden, aber er hatte hier nichts registriert. Was war, wenn der Bomber so fest und tief im Schlamm steckte, dass er ihn mit seinen Methoden gar nicht aufspüren konnte? Dann war seine Arbeit hier sinnlos.
    Der Vormittag entmutigte alle: Joe, weil er das Wrack nicht gefunden hatte. Trattmann offenbar, weil er nun seiner Erinnerung misstrauen musste. Neal, weil er das Gefühl hatte, er habe versagt; mehr noch, weil er die Angst hatte, sein Team könnte hier versagen.
    Schweigend fuhren sie zum Anleger zurück.
    Joe und Neal verabschiedeten sich von Trattmann und dankten ihm herzlich. Es war nicht seine Schuld. Wer erinnerte sich nach sechzig Jahren schon noch so präzise? Und vielleicht hatte er sich ja schon damals getäuscht.
    Immerhin – es war einen Versuch wert gewesen. Ab jetzt sollten Messergebnisse sprechen, die Suche mit dem Boot hatte schon genug Zeit gekostet. Mehr Zeit, als ihnen eigentlich zur Verfügung stand.
    Zurück in seiner Wohnung, zählte Andreas Trattmann das Geld, das ihm der freundliche Herr mit dem ostdeutschen Akzent dafür gegeben hatte, dass er ihm den echten Ruheplatz des Bombers auf einer Landkarte gezeigt hatte: ganze einhundert Euro. Diese Engländer habe ich ganz schön an der Nase herumgeführt, dachte Trattmann, die suchen jetzt an einer völlig falschen Stelle! Denn auch dafür hatte der nette Herr ihn bezahlt.
    Joe Hutter konzentrierte sich ganz auf seine Aufgabe. Der Auftrag des gesamten Teams lautete, die Menschheit zu retten. Das klang so überdreht pathetisch, und Joe Hutter lachte selbst, wenn er daran dachte. Dennoch: Es stimmte.
    Nach dem Fiasko auf dem See zog er die Dokumentenkladde erneut aus dem Regal und

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