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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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aus.
    »Frau Bouland wird einen Schenkel halten,« fuhr der Arzt fort, »und Sie, Pauline, müssen uns den Dienst leisten, den andern zu packen. Fürchten Sie sich nicht, drücken Sie sie fest und verhindern Sie jegliche Bewegung... Lazare würde sehr gütig sein, wenn er mir leuchten wollte.«
    Man gehorchte ihm, auch für die Umgebung war diese Nacktheit verschwunden. Sie sahen nur noch das Mitleid erregende Elend, dieses Drama einer schweren Geburt, die den Gedanken an die Liebe tötete. Angesichts dieser grellen Beleuchtung war das verwirrende Mysterium von dieser so zarten Haut mit den geheimnisvollen Stellen, von diesem, mit kleinem blonden Gekräusel gelockten Vließ entschwunden, es blieb nur noch die schmerzliche Menschheit, das Gebären in Blut und Schmutz, das die Leiber der Mütter bersten läßt und die rote Spalte bis zum Entsetzen erweitert, einem Beilhiebe vergleichbar, der den Stamm öffnet und das Leben der großen Bäume herausfließen läßt.
    Der Arzt sprach immer halblaut, legte seinen Überrock ab und streifte den linken Ärmel des Hemdes bis über den Ellbogen hinauf.
    »Man hatte zu lange gewartet, das Einführen der Hand wird schwer fallen... Sehen Sie, die Schulter ist schon in den Mutterhals eingedrungen.«
    Mitten zwischen den geschwollenen, angespannten Muskeln, den rosigen, wulstigen Schamlippen erschien das Kind. Aber es wurde dort durch das Einklemmen des Organes zurückgehalten, über das hinaus es nicht kommen konnte. Trotzdem versuchten die Anstrengungen des Leibes und der Hüften es noch herauszustoßen, selbst in ihrer Ohnmacht drängte die Mutter noch heftig nach und erschöpfte sich bei dieser Arbeit in dem mechanischen Bedürfnis, sich zu befreien; und die Wogen der Wehen stiegen noch immer nieder, eine jede begleitet von dem Schrei ihrer Hartnäckigkeit, gegen das Unmögliche zu kämpfen. Die Hand des Kindes hing aus der Schamritze. Es war eine kleine, schwarze Hand, deren Finger sich für Augenblicke öffneten und schlossen, als wolle sie sich an das Leben klammern.
    »Beugen Sie den Schenkel ein wenig«, sagte Frau Bouland zu Pauline. »Es ist unnötig, sie zu ermüden.«
    Doktor Cazenove hatte sich zwischen die beiden von den Frauen gehaltenen Knie gestellt. Er wandte sich um, erstaunt über die tanzenden Lichter, deren Schein ihm traf. Hinter ihm zitterte Lazare so arg, daß die Kerze in seiner Hand schwankte, als werde sie von einem heftigen Winde bewegt.
    »Mein lieber Junge,« sagte er, »setzen Sie das Licht auf den Nachttisch. Ich werde dann besser sehen.«
    Der Gatte, nicht imstande, weiter zuzuschauen, war am Ende des Zimmers auf einen Stuhl gesunken. Aber er bemühte sich vergebens nicht hinzusehen, er sah trotzdem immer die arme Hand des kleinen Wesens, diese Hand, die leben wollte und tastend nach einer Hilfe in dieser Welt zu suchen schien, in die sie als erste eintrat.
    Da kniete der Arzt nieder. Er hatte seine linke Hand mit Schweineschmalz bestrichen und führte sie langsam ein, während er die rechte auf den Leib legte. Er mußte den kleinen Arm zurückschieben, ihn wieder ganz hineindrängen, damit die Finger des Operateurs vorbeikommen konnten, und dieses war der gefährlichste Teil der Verrichtung. Die Finger in einem Winkel vorgestreckt, drangen endlich langsam, mit leichter, drehender Bewegung vor, welche die Einführung der Hand bis zum Gelenk erleichterte. Sie versank immer tiefer, sie rückte weiter vor, suchte die Knie, dann die Füße des Kindes; während die andere Hand sich noch fester auf den Unterleib legte und so der inneren Arbeit nachhalf. Aber man bemerkte nichts von dieser Verrichtung, es war weiter nichts vorhanden, als dieser im Körper verschwundene Arm.
    »Fräulein ist sehr gelehrig«, bemerkte Frau Bouland. »Manchmal bedarf es starker Männer, um sie zu halten.«
    Pauline preßte in mütterlichem Gefühl den armen Schenkel an sich, den sie vor Angst beben fühlte.
    »Habe Mut!« flüsterte sie ihrerseits.
    Tiefes Schweigen herrschte. Luise hätte nicht sagen können, was man mit ihr vornahm, sie empfand nur eine wachsende Bangigkeit, ein Gefühl des Losreißens. Und Pauline erkannte das schlanke Mädchen mit den feinen Zügen und dem zarten Liebreiz in diesem quer über das Bett liegenden gekrümmten Geschöpf mit dem von Schmerzen entstellten Gesicht nicht wieder.
    Schleim war zwischen den Fingern des Operateurs hindurchgeflossen und hatte den goldigen Flaum beschmutzt, der die weiße Haut beschattete. Einige Tropfen schwarzen

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