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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Anfall klagte in den kurzen Pausen der Ruhe Luise über einen brennenden Durst. Ihre ausgetrocknete Kehle machte qualvolle Bewegungen des Erstickens.
    »Ich sterbe; gebt mir zu trinken.«
    Sie trank einen Schluck von leichtem Lindenblütentee, den Veronika am Feuer stehen hatte. Aber oft, wenn sie die Tasse gerade an die Lippen brachte, mußte Pauline sie ihr wieder abnehmen; ein neuer Anfall nahte, ihre Hände begannen wieder zu zittern, während das nach hinten gebeugte Gesicht dunkelrot wurde und der Hals sich bei dieser neuen, die Muskel spannenden Anstrengung mit Schweiß bedeckte.
    Es stellten sich auch Krämpfe ein. Sie sprach jede Minute vom Aufstehen, um Bedürfnisse zu befriedigen, unter denen sie zu leiden behauptete.
    »Verhalten Sie sich ruhig. Das ist eine Wirkung der Arbeit... Wenn Sie aus dem Bette steigen, ohne etwas zu machen, sind Sie wohl viel weitergekommen, nicht wahr?«
    Um drei Uhr verhehlte Frau Bouland Pauline nicht mehr ihre Besorgnis. Es stellten sich beängstigende Anzeichen ein, besonders ein langsames Abnehmen der Kräfte. Man hätte glauben können, die Wöchnerin leide weniger, denn ihr Geschrei, ihre Anstrengungen verloren an Stärke; die Wahrheit aber war, daß die Arbeit durch die zu große Müdigkeit aufzuhören drohte. Das Phantasieren kam wieder, sie hatte sogar eine Ohnmacht. Frau Bouland benutzte diese, um sie noch einmal zu untersuchen und die Lage des Kindes besser zu erkennen.
    »Es ist so, wie ich fürchte«, murmelte sie. »Hat sich das Pferd die Beine gebrochen, daß sie noch nicht kommen?«
    Als Pauline ihr sagte, daß sie die Unglückliche nicht so sterben lassen könne, wurde sie aufgebracht:
    »Glauben Sie, daß ich vergnügt bin? Wenn ich den Eingriff versuchte, und es fiele schlecht aus, dann würde ich eine Menge Unannehmlichkeiten auf dem Halse haben. Man geht ohnehin nicht gerade zart mit uns um!«
    Als Luise wieder zur Besinnung kam, beklagte sie sich über eine Unbequemlichkeit.
    »Der kleine Arm kommt durch«, fuhr Frau Bouland ganz leise fort. »Er ist ganz frei... Aber die Schulter wird nie herauskommen.«
    Indes wurde die Lage um halb vier Uhr immer bedenklicher, sie war schon nahe daran, auf eigene Faust vorzugehen, als Veronika, die von der Küche heraufkam, das Fräulein in den Flur rief, um ihr zu sagen, daß der Arzt angekommen sei. Man ließ sie einen Augenblick allein bei der Wöchnerin, das junge Mädchen und die Hebamme gingen hinunter. Mitten im Hofe stammelte Lazare Flüche über das Pferd; doch als er erfuhr, daß seine Frau noch lebe, war die Rückwirkung so stark, daß er sich plötzlich beruhigte. Der Doktor stellte beim Betreten der Vortreppe bereits hastige Fragen an Frau Bouland.
    »Ihr plötzliches Kommen würde sie erschrecken«, sagte Pauline auf der Treppe. »Man muß Luise erst vorbereiten.«
    »Machen Sie nur schnell«, antwortete er einfach mit knappem Tone.
    Pauline trat allein ein, die anderen blieben an der Tür.
    »Denke dir, meine Liebe,« erklärte sie, »der Doktor hat, nachdem er dich gestern hier gesehen, etwas vermutet, er ist soeben gekommen... Du müßtest erlauben, daß er dich ansieht, da das so kein Ende nehmen will.«
    Luise schien nicht zu hören. Sie rollte verzweifelt den Kopf auf dem Kissen umher. Endlich murmelte sie:
    »Wie ihr wollt, mein Gott... Weiß ich jetzt? Ich lebe nicht mehr.«
    Der Doktor war näher gekommen. Die Hebamme forderte Pauline und Lazare auf nach unten zu gehen: sie würde sie benachrichtigen, sie rufen, wenn man ihrer bedürfte. Sie zogen sich schweigend zurück. Unten im Eßzimmer war Chanteau vor dem noch immer gedeckten Tische eingeschlafen. Der Schlummer mußte ihn inmitten seines kleinen Abendessens überfallen haben, er hatte dieses langsam und zerstreut ausgedehnt, denn die Gabel ruhte auf dem Rande des Tellers, auf dem noch ein Rest Kalbsbraten lag. Als Pauline eintrat, mußte sie die Lampe, die kohlte und im Verlöschen war, höher schrauben.
    »Wecken wir ihn nicht,« flüsterte sie, »er braucht nichts von der Sache zu erfahren.«
    Sie setzte sich leise auf einen Stuhl, während Lazare unbeweglich stehen blieb. Es begann nun ein entsetzliches Warten, keiner von beiden sagte ein Wort, sie konnten nicht einmal die Bangigkeit ihrer eigenen Blicke ertragen und wandten den Kopf weg, sobald sich ihre Augen begegneten. Von oben drang kein Geräusch zu ihnen, die schwächer gewordenen Klagelaute waren nicht mehr vernehmbar, sie lauschten vergeblich und hörten nichts als das Toben

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