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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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nun, auf den Knien liegend, mit einem in Alkohol getauchten Leinentuche mit einer Ausdauer, die sie nicht einmal den Krampf fühlen ließ, der nach und nach ihren Arm steif machte. Der Kleine war so schwächlich, von einer so jämmerlichen Zartheit, daß es ihre hauptsächlichste Furcht war, ihn durch starkes Reiben vollends zu töten. Daher hatte auch diese hin und her gleitende Bewegung eine liebkosende Sanftheit, das beständige Streifen eines Flügels. Sie wandte das Kind vorsichtig um und versuchte, jedes der kleinen Glieder in das Leben zurückzurufen. Aber es rührte sich noch immer nicht. Das Reiben erwärmte es zwar ein wenig, die Brust jedoch blieb hohl, noch hob sie kein Atemzug. Es schien im Gegenteil blauer zu werden.
    Da preßte sie ohne einen Widerwillen gegen dieses weiche, kaum gewaschene Gesicht ihren eigenen auf den kleinen regungslosen Mund. Langsam, anhaltend blies sie ihren Atem hinein, ihn nach der Kraft der engen Lunge abmessend, in welche die Luft nicht hatte eindringen können. Erst als sie selbst zu ersticken drohte, hielt sie einige Sekunden inne; dann begann sie von neuem. Das Blut stieg ihr zu Kopfe, die Ohren begannen ihr zu sausen, und ein Anfall von Schwindel erfaßte sie. Aber sie ließ nicht nach, sie gab so eine halbe Stunde hindurch ihren Atem hin, ohne durch den geringsten Erfolg ermutigt zu werden. Wenn sie Atem holte, hatte sie nur den Geschmack einer Fadheit des Todes. Sie hatte ganz, ganz sachte vergeblich gesucht, die Seiten sich bewegen zu lassen, indem sie mit ihren Fingerspitzen darauf drückte. Nichts wollte anschlagen. Jeder andere würde diese unmöglichen Erweckungsversuche eingestellt haben. Sie aber handelte mit der hartnäckigen Verzweiflung einer Mutter, die das schlecht aus ihrem Leibe hervorgegangene Kind vollends zum Leben bringen will. Es sollte leben, und sie fühlte endlich den armen Körper sich rühren, an dem kleinen Munde unter dem ihren ein leichtes Erzittern.
    Seit fast einer Stunde hielt sie die Angst dieses Kampfes in diesem Zimmer fest; sie vergaß alles. Das schwache Anzeichen des Lebens, diese kurze Bewegung an ihren Lippen gab ihr von neuem Mut. Sie begann die Reibung abermals, fuhr mit dem Einflößen ihres Atems von Minute zu Minute fort und wechselte mit beidem; sie gab sich selbst in Barmherzigkeit hin. Es war dies ein wachsendes Bedürfnis zu siegen, Leben zu machen. Einen Augenblick glaubte sie sich getäuscht zu haben, denn ihre Lippen preßten sich immer nur auf unbewegliche Lippen. Dann überzeugte sie sich abermals von einem neuen, flüchtigen Zusammenziehen. Nach und nach trat die Luft ein, sie wurde ihr genommen und wiedergegeben. Unter ihrer Brust glaubte sie die Schläge des Herzens sich regeln zu hören. Ihr Mund ließ den kleinen Mund nicht mehr los, sie teilte, lebte mit diesem kleinen Wesen, sie beide hatten in diesem Wunder der Auferstehung nur noch einen Atem, einen langsamen, anhaltenden Atem, der von dem einen zu der andern überging wie eine gemeinsame Seele. Käsiger Schleim beschmutzte ihre Lippen, aber die Freude, das Kind gerettet zu haben, ließ keinen Ekel aufkommen: sie atmete jetzt eine warme Herbigkeit von Leben ein, die sie berauschte. Als es endlich zu schreien begann und einen schwachen Klagelaut ausstieß, rutschte sie von dem Lehnstuhle auf den Boden, bis ins Innerste bewegt.
    Das mächtige Feuer loderte hoch auf und erfüllte das Gemach mit einer lebhaften Helle. Pauline blieb auf dem Fußboden vor dem Kinde liegen, das sie bisher noch nicht betrachtet hatte. Wie gebrechlich war es! Was für ein kaum geformtes Geschöpf eben! Eine letzte Empörung packte sie, ihre Gesundheit lehnte sich gegen diesen elenden Sohn auf, den Luise Lazare geschenkt. Sie ließ einen verzweifelten Blick über ihre Hüften, ihren jungfräulichen, erzitternden Leib gleiten. Zwischen ihren breiten Hüften würde ein kräftiger, starker Sohn Platz gehabt haben. Ein ungeheurer Kummer über ihr verfehltes Dasein, ihre unfruchtbar schlummernde Weiblichkeit überkam sie. Der Anfall, der sie in der Hochzeitsnacht der anderen schier getötet hatte, kam wieder. Gerade am Morgen hatte sie sich von dem verlorenen Fluß der Befruchtung blutbefleckt erhoben. Selbst jetzt, nach den Erregungen dieser schrecklichen Nacht, fühlte sie ihn unter sich wie ein nutzloses Wasser dahinfließen. Sie würde nie Mutter werden; sie hätte gewünscht, daß alles Blut ihres Körpers so fortgehe, da sie ja doch aus ihm kein Leben erzeugen konnte. Wozu nützten

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