Die Lebensfreude
meine, jenes der Familie... Ja, du allein warst klug. Das Dasein gestaltet sich so leicht, wenn das Haus in guter Laune ist und die einen für die anderen leben! Wenn die Welt vor Elend vergeht, mag sie es wenigstens vergnügt tun und mit sich selbst Mitleid haben.«
Sein heftiges Reden rief bei ihr ein Lächeln hervor; sie ergriff seine Hände.
»Beruhige dich... Wenn du erkennst, daß ich recht habe, bist du schon gebessert, und alles wird gut gehen.«
»Ach ja, gebessert! Ich sage es in diesem Augenblicke, weil ich Stunden habe, wo die Wahrheit trotz allem hervorbricht. Ändert man sich?... Nein, es wird nicht besser, im Gegenteil: schlechter. Du weißt es ebenso gut wie ich... Meine Dummheit macht mich so wütend!«
Sie zog ihn sanft an sich und sagte in ernstem Tone:
»Du bist weder dumm noch schlecht, du bist unglücklich... Umarme mich, Lazare.«
Sie wechselten angesichts dieses armen Kleinen, der eingeschlummert zu sein schien, einen Kuß; es war ein geschwisterlicher Kuß, in dem nicht mehr das jähe Verlangen brannte, von dem sie noch am Tage vorher geglüht hatten.
Der Morgen brach herein, ein grauer Morgen von großer Milde. Cazenove kam, um das Kind zu besichtigen; er staunte, es in einem so guten Zustande zu sehen. Er war der Ansicht, daß man es wieder in das Zimmer zurücktrage, da er für Luise nunmehr zu bürgen zu können glaubte. Als man der Mutter den Kleinen reichte, hatte sie ein mattes Lächeln. Dann schloß sie die Augen und verfiel in einen tiefen, erquickenden Schlummer, der die Genesung der Wöchnerinnen bringt. Man hatte die Fenster ein wenig geöffnet, um den Blutgeruch zu vertreiben; eine köstliche Frische und ein Hauch des Lebens stieg aus der hohen Flut herauf. Alle standen matt und glücklich vor dem Bett, in dem sie schlief. Endlich entfernten sie sich mit gedämpften Schritten und ließen nur Frau Bouland bei ihr zurück.
Der Arzt ging trotzdem erst gegen acht Uhr fort. Er war sehr hungrig, auch Lazare und Pauline fielen fast vor Erschöpfung um; Veronika mußte ihnen Milchkaffee und einen Eierkuchen bereiten. Unten fanden sie von allen vergessen Chanteau in seinem Lehnstuhl schlafen. Nichts hatte sich gerührt, das Gemach nur war von dem scharfen Qualme der Lampe verpestet, die noch rauchte. Pauline bemerkte lächelnd, daß der Tisch, auf dem die Gedecke liegen geblieben waren, schon bereitet sei. Sie fegte die Krümel ab und machte wieder ein wenig Ordnung. Da Kaffee und Milch auf sich warten ließen, fielen sie über das kalte Kalbfleisch her, wobei sie schon über die durch die schreckliche Entbindung unterbrochene Mahlzeit zu scherzen vermochten. Jetzt, da die Gefahr vorüber war, fanden sie eine kindliche Heiterkeit wieder.
»Ihr könnt es mir glauben, wenn ihr wollt,« wiederholte Chanteau entzückt, »aber ich schlief, ohne zu schlafen. Ich war wütend, daß keiner herunterkam und mir Nachricht gab, und war trotzdem nicht unruhig, denn mir träumte, daß alles gut gehe.«
Seine Freude verdoppelte sich, als der Abbé Horteur erschien, der nach seiner Messe herbeigelaufen kam. Er scherzte tüchtig:
»Was ist denn geschehen? Sie lassen mich so ohne weiteres im Stich?... Sie haben wohl Furcht vor Kindern.«
Um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, erzählte der Priester, daß er eines Abends auf der Straße eine Frau entbunden und das Kind getauft habe. Dann nahm er ein Gläschen Curaçao an.
Heller Sonnenschein vergoldete den Hof, als sich der Doktor endlich verabschiedete. Als Lazare und Pauline ihn begleiteten, fragte er letztere ganz leise:
»Sie reisen heute nicht?«
Sie schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie die großen, träumerischen Augen auf, und diese schienen in die Weite, in die Zukunft zu sehen.
»Nein«, antwortete sie. »Ich muß abwarten.«
Elftes Kapitel.
Nach einem abscheulichen Maimonat waren die ersten Junitage sehr heiß. Der Westwind pfiff seit drei Wochen, Stürme hatten die Küste verheert, die Strandfelsen ausgehöhlt, Barken verschlungen und Menschen getötet; und der weite blaue Himmel, dieses atlasglatte Meer, diese milden, klaren Tage, die jetzt der Welt leuchteten, waren von unendlicher Lieblichkeit.
Pauline hatte sich an diesem herrlichen Nachmittage entschlossen, den Lehnstuhl Chanteaus auf die Terrasse zu schieben und dort den jetzt achtzehn Monate alten Paul auf einer wollenen Decke zu betten. Sie war seine Patin und verwöhnte ihn wie den Greis.
»Wird dich die Sonne nicht belästigen, Onkel?« »Nein, gewiß nicht...
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