02 - Tanz der Sehnsucht
PROLOG
Während der Mittagspause war der Club leer. Die Farbe an den Wänden war vom Zigarettenrauch stumpf geworden, und die Böden waren abgenutzt, doch einigermaßen sauber. Es gab den für solche Orte so typischen Geruch - eine Mischung aus altem Alkohol, schlechten Parfumdünsten und abge-standenem Kaffee. Gewisse Menschen mochten sich hier zu Hause fühlen. Die O'Haras waren zu Hause, wo immer sich ein Publikum versammelte.
Wenn nachmittags die Menge hereinströmte und die Beleuchtung schummrig wurde, dann würde es nicht mehr so schäbig aussehen. Jetzt aber schien grelles Sonnenlicht durch die zwei kleinen Fenster und zeigte unbarmherzig den Staub und jede abgewetzte und abgeschlagene Stelle. Der Spiegel hinter der Bar warf das Licht auf die kleine Bühne in der Mitte des Raumes.
Frank O'Hara führte seinen fünfjährigen Drillingen die Schritte für eine kleine Tanzeinlage vor, die er abends in die Show einfügen wollte. Den drei kleinen Mädchen würden die Herzen des Publikums bestimmt sofort zufliegen.
„Hoffentlich lässt du mir mit deinen Ideen nächstes Mal mehr Zeit." Molly, seine Frau, die eigentlich Mary Margaret hieß, saß an einem Ecktisch und beeilte sich, Schleifen an die weißen Kleider zu nähen, die ihre Töchter in wenigen Stunden tragen sollten. „Ich bin nämlich keine verdammte Näherin."
„Du bist Mitglied einer Truppe, Molly, meine Liebe, und das Beste, was Frank O'Hara je geschehen konnte."
„Nichts ist wahrer als das, mein Lieber", entgegnete sie halblaut, aber lächelnd.
„Also, meine Lieblinge, versuchen wir es noch einmal." Er lächelte den drei kleinen Engeln zu.
Caroline, mit dem Kosenamen Carrie, war schon jetzt eine Schönheit mit ihrem ovalen Gesichtchen und den dunkelblauen Augen. Er zwinkerte ihr zu und wusste genau, dass sie mehr an den Schleifen auf dem Kleid als an der Vorstellung interessiert war. Alana war die unkompliziert Freundliche. Sie tanzte, weil ihr Dad es wollte und weil es Spaß machen würde, mit ihren Schwestern auf der Bühne zu sein.
Madeline, kurz Maddy genannt, mit ihrem Koboltgesicht und dem Haar, das schon eine Spur ins Rötliche ging, ließ ihren Vater nicht eine Sekunde aus den Augen und ahmte seine
Bewegung perfekt nach. Franks Herz schwoll vor Liebe für die drei über.
Er legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes.
„Gib uns eine zweitaktige Vorgabe, Terence. Etwas Flottes, Lebendiges."
Terences Finger liefen über die Tasten. Frank bedauerte es immer wieder, dass er sich keinen Unterricht für den Jungen leisten konnte. Alles, was sein Sohn am Instrument konnte, hatte er sich durch Nachmachen und Heraushören selbst beigebracht.
„Wie findest du das, Dad?"
„Du bist Spitze." Frank strich Terence über den Kopf. „Okay, Mädchen, zeigt, was ihr könnt."
Er arbeitete mit ihnen geduldig noch eine Viertelstunde und brachte sie über ihre Fehler zum Kichern. Die kleine Tanzeinlage würde alles andere als perfekt sein, doch Frank besaß genügend Erfahrung, um den Charme der Darbietung zu erkennen. Er würde die Nummer langsam ausbauen.
Die Saison war bald vorbei, doch wenn es ihnen gelang, sich eine gewisse unverwechselbare Note zu erarbeiten, wäre damit ein neuer Vertrag gesichert. Das Leben bestand für Frank aus Auftritten und Verträgen. Und für ihn gab es keinen Grund zu glauben, warum seine Familie nicht der gleichen Meinung sein sollte.
Doch kaum bemerkte er Carries nachlassendes Interesse, brach er ab, da er wusste, bei ihren Schwestern würde es auch gleich so weit sein.
„Wunderbar." Er gab jeder von ihnen einen schallenden Kuss. „Wir werden sie heute von ihren Stühlen reißen."
„Wird unser Name auf dem Plakat stehen?", erkundigte sich Car- rie, was Frank zu schallendem Gelächter veranlasste.
„Schielst schon nach der Reklame, meine kleine Taube, nicht wahr? Hast du das gehört, Molly?"
„Es überrascht mich nicht." Sie legte ihre Näharbeit weg, um den Fingern eine Ruhepause zu gönnen.
„Ich will dir etwas verraten, Carrie. Du bekommst deine Reklame, wenn du das kannst." Er begann eine langsame Steppeinlage und streckte seiner Frau eine Hand hin. Lächelnd erhob sich Molly.
Die vielen Jahre gemeinsamen Tanzens wirkten sich in aufeinander abgestimmten Bewegungen vom ersten Schritt an aus.
Alana setzte sich neben Terence auf die Klavierbank. Er improvisierte eine witzige kleine Melodie.
„Carrie wird es üben, bis sie es kann", bemerkte ihr Bruder halblaut.
Alana lächelte ihn an.
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