Die Lebensfreude
nachdem er sie acht Jahre lang vergessen zu haben schien. Er schrieb, erbat Nachrichten und sprach sogar davon, eines schönen Morgens in Bonneville zu sein, weil er sich in Geschäften nach Cherbourg begeben müsse. Was antworten, wenn er, wie es sein gutes Recht war, von dem Stande der Dinge unterrichtet zu sein wünschte? Sein plötzliches Erwachen nach einer so langen Gleichgültigkeit wurde bedrohlich.
Als Chanteau endlich diesen Gegenstand vor seiner Frau berührte, fand er diese mehr von Neugier als von Unruhe geplagt. Für einen Augenblick hatte sie die Wahrheit gewittert, sich gedacht, daß Saccard inmitten des Galopps seiner Millionen vielleicht ohne einen Sou war und nun den Gedanken gefaßt hatte, sich Paulinens Geld aushändigen zu lassen mit dem Versprechen, es zu verzehnfachen. Dann aber führten sie ihre Gedanken auf Abwege; sie fragte sich, ob möglicherweise das junge Mädchen selbst in einer Anwandlung von Rache ihrem Gegenvormund geschrieben habe. Als aber diese Vermutung ihren Mann in Harnisch brachte, erdachte sie sich eine verwickelte Geschichte, die Abfassung anonymer Briefe seitens jener Kreatur des Boutigny, dieser Dirne, die zu empfangen sie sich geweigert und die in den Läden von Verchemont und Arromanches an ihnen kein gutes Haar lasse.
»Schließlich schlage ich ihnen allen ein Schnippchen!« sagte sie. »Es ist wahr, die Kleine ist noch nicht achtzehn Jahre alt, aber ich brauche sie nur unverzüglich mit Lazare zu verheiraten; die Ehe macht sie gesetzlich selbständig.«
»Bist du dessen gewiß?« sagte Chanteau.
»Gewiß! Ich las es erst heute früh im Gesetzbuche.«
In der Tat studierte Frau Chanteau jetzt das Gesetzbuch. Ihre letzten Zweifel stritten in ihr, und sie suchte nach Ausflüchten. Die fortgesetzte Abbröckelung ihrer Rechtschaffenheit, welche die Versuchung der bei ihr schlummernden großen Summen stündlich ein wenig vernichtete, hatte ihr Interesse auf die dunkle Arbeit einer Erbschleicherei unter gesetzlicher Form gelenkt.
Übrigens entschied sich Frau Chanteau trotzdem nicht für die Anberaumung der Heirat. Pauline hätte nach dem Verluste des Geldes die Sache am liebsten beschleunigt: warum noch sechs Monate bis zu ihrem achtzehnten Jahre warten? Es war besser, ein Ende zu machen und nicht darauf zu bestehen, daß sich Lazare erst eine Stellung verschaffte. Sie wagte es, mit ihrer Tante darüber zu sprechen, die, etwas beklommen, schnell eine Lüge erfand; sie schloß die Tür, um ihr mit leiser Stimme eine geheime Qual ihres Sohnes zu bekennen: er war sehr zartfühlend, litt darunter, sie früher zu heiraten, ehe er ihr ein Vermögen mitbringen könne, da er das ihre jetzt auf das Spiel gesetzt habe. Das Mädchen hörte voller Staunen zu, ohne diese romanhafte Spitzfindigkeit zu verstehen. Er hätte ganz arm sein können, sie würde ihn ebensogut geheiratet haben, da sie ihn liebte. Wie lange solle denn noch gewartet werden? Vielleicht ewig? Frau Chanteau wies eine solche Vermutung erregt zurück; sie übernehme es, dieses übertriebene Ehrlichkeitsgefühl zu überwinden, vorausgesetzt, daß man nicht mit Ungestüm zu Werke gehen wolle. Nachdem sie geendet, ließ sie sich von Pauline Stillschweigen versprechen, denn sie befürchtete einen unüberlegten Streich, eine plötzliche Abreise des jungen Mannes an dem Tage, an dem er sich erraten, durchschaut sehe und seine Gedanken erörtert wisse. Pauline, von Unruhe erfaßt, mußte sich zur Geduld und zum Schweigen bequemen.
Chanteau, den die Furcht vor Saccard keine Ruhe ließ, sagte indessen zu seiner Frau:
»Wenn die Ehe alles in Ordnung bringt, verheirate die Kinder doch.«
»Es eilt nicht«, entgegnete sie. »Noch ist die Gefahr nicht vor der Tür.«
»Du willst sie aber doch eines Tages verheiraten und hast deine Absicht nicht geändert, denke ich? Sie würden den Tod davon haben.«
»Den Tod davon haben! Solange etwas noch nicht getan ist, kann es auch ganz unterbleiben, namentlich wenn die Sache sich verschlechtert. Und dann: sie sind beide frei, sie werden sehen, ob es ihnen immer noch gefällt.«
Pauline und Lazare hatten ihr altes, gemeinsames Leben wiederaufgenommen, beide durch die Strenge eines schrecklichen Winters an das Haus gefesselt. In der ersten Woche sah sie ihn so traurig, so beschämt über sich selbst und so aufgebracht gegen die Verhältnisse, daß sie ihn mit unendlicher Sorgfalt wie einen Kranken pflegte. Sie empfand sogar Mitleid mit diesem großen Burschen, dessen kurzatmiger
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