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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Wille, dessen einfach nervöser Mut diese Mißerfolge erklärte, und sie gewann nach und nach die scheltende Autorität einer Mutter über ihn. Anfangs ließ er sich wieder zu Übertreibungen fortreißen; er erklärte, Bauer werden zu wollen, baute verrückte Pläne, wie man plötzlich zu Vermögen kommen könne, errötete über das Brot, das er aß, und wollte seiner Familie keine Stunde länger zur Last fallen. So verstrichen die Tage; er verschob die Ausführung seiner Gedanken immer auf später, begnügte sich damit, jeden Morgen seinen Plan zu ändern, den Plan, der ihn mit einigen Sprüngen auf den Gipfel der Ehren und Reichtümer führen solle. Durch die falschen Vertraulichkeiten ihrer Tante in Schrecken gesetzt, drang Pauline in ihn; verlangte man denn, daß er sich derart den Kopf zerbrechen solle? Er solle sich zum Frühjahr eine Stellung suchen, und werde sie gewiß sofort finden; aber bis dahin wolle man ihn schon zum geduldigen Aushalten zwingen. Am Ende des ersten Monats schien sie ihn gezähmt zu haben; er war in einen gedankenlosen Müßiggang, in eine heitere Ergebung in das verfallen, was er »des Daseins Jammer« nannte.
    Mit jedem neuen Tage mehr fühlte Pauline bei Lazare ein beunruhigendes, unbekanntes Etwas heraus, das sie empörte. Sie bedauerte jetzt die Zornesausbrüche, das Strohfeuer, das zu leicht in ihm aufloderte, wenn sie ihn alles verhöhnen hörte und er das Nichts mit herber Stimme verkündete. In diesem winterlichen Frieden, in diesem weltverlorenen Loche Bonneville ging etwas wie ein Erwachen seiner ehemaligen Pariser Verbindungen, seiner Lektüre, seiner Erörterungen zwischen den Studiengenossen vor sich. Der Pessimismus hatte zu ihm seinen Weg gefunden, ein schlecht verdauter Pessimismus, von dem nur die wunderlichen genialen Einfälle, die große, düstere Poesie Schopenhauers zurückgeblieben waren. Das Mädchen verstand sehr wohl, daß unter diesem der Menschheit gemachten Prozesse bei ihrem Vetter namentlich die Wut über die Niederlage, den Zusammenbruch der Fabrik steckte, von dem die Erde gekracht zu haben schien. Aber sie konnte nicht weiter in die Ursachen hinabdringen; sie lehnte sich heftig dagegen auf, wenn er seine alte These, die Verleugnung des Fortschrittes, die schließliche Nutzlosigkeit der Wissenschaft wiederaufnahm. War dieser erzdumme Kerl von Boutigny nicht im Begriff, ein Vermögen mit seiner Soda zu gewinnen? Wozu sich ruinieren, um Besseres zu finden? neue Gesetze zu entdecken, wenn die Erfahrung den Sieg davontrug? Das war jedesmal sein Ausgangspunkt; er folgerte, die Lippen von einem häßlichen Lächeln verzerrt, daß die Wissenschaft nur einen Nutzen haben könne, wenn sie das Mittel stelle, mittels einer ungeheuren Kartätsche das Weltall in die Luft zu sprengen. Dann zählte er mit kaltem Spotte die Ränke des »Willens« auf, welcher die Welt leitet, die blinde Dummheit, leben zu wollen. Das Leben sei der Schmerz, und er gelangte schließlich zur Moral der indischen Fakire, das heißt zur Erlösung durch Vernichtung. Wenn Pauline ihn den Ekel vor jeder Tätigkeit heucheln hörte, wenn er den schließlichen Selbstmord der Völker ankündigte, die sich scharenweise in das schwarze Nichts stürzten und sich weigerten, neue Geschlechter zu zeugen an dem Tage, an dem ihre entwickelte Intelligenz sie überzeugte, welch blödsinnige und grausame Parade eine unbekannte Macht sie spielen lasse: dann brauste sie auf, suchte nach Gründen und unterlag natürlich wegen ihrer Unwissenheit in diesen Fragen, wegen ihres Mangels eines metaphysischen Kopfes, wie er es nannte. Sie weigerte sich indessen, sich für besiegt zu erklären und schickte seinen Schopenhauer, von dem er ihr einige Stellen hatte vorlesen wollen, geradeaus zum Teufel: Ein Mann, der so grausam Böses von den Frauen schrieb; sie würde ihn erdrosselt haben, wenn er nicht wenigstens ein Herz für die Tiere gehabt hätte. Immer stramm, immer aufrecht im Glück der Gewohnheit und in der Hoffnung auf das Morgen, brachte sie ihn mit ihrem vollen Lachen ihrerseits zum Schweigen; sie triumphierte durch das ganze kräftige Wachstum ihrer körperlichen Reife.
    »Halt!« rief sie. »Du erzählst Dummheiten ... Wir wollen an das Sterben denken, wenn wir alt sind.«
    Der Gedanke an den Tod, den sie so heiter behandelte, machte ihn stets ernst, seinen Blick unstet. Er gab dann gewöhnlich der Unterhaltung eine andere Wendung, indem er vor sich hinbrummte:
    »Man stirbt in jedem Alter.«
    Pauline begriff

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