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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Rente angelegt wurden und ihnen alles in allem dreihundert Franken für den Monat voll machten. So mußte Frau Chanteau schon in der zweiten Hälfte des ersten Monats fünfzig Franken vom Gelde Paulines wegnehmen: der Metzger von Verchemont wartete unten mit seiner Rechnung, man konnte ihn nicht zurückschicken. Dann waren es hundert Franken für den Ankauf einer Auslaugemaschine, dann wieder zehn Franken für Kartoffeln und schließlich fünfzig Sous für Fische. Sie war dahin gelangt, Lazare und die Fabrik von Tag zu Tag mit kleinen, beschämenden Summen zu erhalten. Sie sank noch tiefer bis auf die Centimes für den Haushalt, bis auf die elendiglich zugestopften Löcher der Schuld. Gegen das Ende des Monats sah man sie unaufhörlich mit behutsamen Schritten verschwinden und fast sogleich die Hand in der Tasche wiederkommen, aus der sie die Sous für irgendeine Rechnung einzeln hervorholte. Die Gewohnheit war einmal da, sie lebte nur noch von dem Schubkasten des Schreibsekretärs, fortgerissen, ohne sich weiter zu sträuben. Wenn sie wie besessen täglich dorthin lief und die Platte niederließ, stieß das alte Möbel ein leises Kreischen aus, das ihre Nerven erschütterte. Welch ein alter Kasten! Und sich sagen zu müssen, daß sie sich nie ein eigenes Schreibbüro hatte kaufen können. Dieser würdige Sekretär, der mit einem Vermögen vollgepfropft, dem Hause einen Anstrich von Freundlichkeit und Reichtum gegeben hatte, richtete es jetzt zu Grunde; er glich einem mit allen Plagen vergifteten Kasten, aus dessen Fugen das Unheil drang.
    Eines Abends kam Pauline aus dem Hofe hereingelaufen und schrie:
    »Der Bäcker! ... Man schuldet ihm für drei Tage, zwei Franken fünfundachtzig Centimes!«
    Frau Chanteau durchsuchte ihre Taschen.
    »Ich muß erst hinaufgehen«, murmelte sie dann.
    »Bleib nur,« antwortete das Mädchen unüberlegt, »ich werde selbst hinaufgehen ... Wo ist dein Geld?«
    »Nein, nein, du würdest es nicht finden ... Es ist an einer Stelle ...« Die Tante stammelte etwas; beide wechselten den stummen Blick, der sie erbleichen ließ. Ein peinliches Zögern folgte, dann ging Frau Chanteau hinauf, ganz kalt vor verhaltener Wut, da sie die klare Empfindung hatte, daß ihr Mündel wußte, woher sie die zwei Franken fünfundachtzig Centimes nehme. Warum hatte sie auch so oft das im Schubkasten schlummernde Geld gezeigt? Ihre alte, schwatzhafte Ehrlichkeit erbitterte sie; diese Kleine mußte ihr im Geiste folgen, sie öffnen, darin wühlen und wieder schließen sehen. Als sie nachdem hinabgekommen war und den Bäcker bezahlt hatte, brach ihr Zorn gegen das Mädchen los.
    »Nun, dein Kleid ist ja recht sauber, woher kommst du denn? ... Du hast wieder Wasser für den Gemüsegarten geschöpft? Laß doch Veronika ihre Arbeit machen. Du machst dich wohl absichtlich schmutzig, scheinst nicht zu wissen, was das kostet ... Deine Pension ist nicht so groß, ich kann kaum mehr damit auskommen! ...«
    Sie fuhr in diesem Tone fort. Pauline, die sich zuerst zu verteidigen versucht hatte, hörte ihr jetzt schweigend mit schwerem Herzen zu. Sie fühlte sehr wohl, daß die Tante sie seit einiger Zeit weniger und immer weniger liebte. Sie weinte, wenn sie mit Veronika allein war; und die Magd begann mit ihren Kesseln herumzuklappern, um nicht genötigt zu sein, sich für oder wider auszusprechen. Sie brummte noch immer über das junge Mädchen, aber in ihrer Grobheit erwachte jetzt dann und wann schon die Gerechtigkeit.
    Der Winter kam, Lazare verlor den Mut. Wieder war seine Leidenschaft verraucht, die Fabrik stieß ihn ab, entsetzte ihn. Im November wurde er angesichts einer neuen Geldklemme von Furcht erfaßt. Er hatte andere überstanden, aber diese machte ihn zittern; er verzweifelte an allem und klagte die Wissenschaft an. Seine Ausbeutungsgedanken seien blöde; man könne wohl die Methoden verbessern, der Natur werde man doch nicht entreißen, was sie nicht geben wolle. Er schmähte seinen Meister, den berühmten Herbelin, der die Gefälligkeit gehabt hatte, einen Abstecher von einer Reise zu machen, um die Fabrik in Augenschein zu nehmen und verlegen genug vor den Apparaten gestanden hatte, die vielleicht zu groß in der Anlage waren, wie er sagte, um mit derselben Genauigkeit wie die kleinen seines Studierzimmers arbeiten zu können. Mit einem Worte, der Versuch schien in der Tat gemacht, aber die Wahrheit war, daß man für die Kältereaktionen noch nicht das Mittel gefunden hatte, die niedrigen Temperaturen

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