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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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statt. Doktor Cazenove war zum Frühstück geblieben; das Gespräch war auf die jüngsten Neuigkeiten aus Caen gekommen, wo Lazare achtundvierzig Stunden eines Prozesses wegen, mit dem ihm dieser Halunke Boutigny gedroht, zugebracht, und man hatte sich daher länger als sonst bei Tische aufgehalten.
    »Da wir gerade davon sprechen,« sagte der junge Mann, »Luise wird uns in der nächsten Woche überraschen ... Ich habe sie nicht wiedererkannt, sie lebt gegenwärtig bei ihrem Vater und ist jetzt von einer Eleganz ... Wie haben wir zusammen gelacht!«
    Pauline schaute ihn an, sie erstaunte über den Ton warmer Erregung in seiner Stimme.
    »Da wir gerade von Luise sprechen,« rief Frau Chanteau, »ich bin mit einer Dame aus Caen zusammen gereist, welche die Thibaudier kennt. Ich bin aus den Wolken gefallen: Thibaudier gibt seiner Tochter hunderttausend Franken Mitgift. Mit den hunderttausend der Mutter wird die Kleine zweihunderttausend haben. Zweihunderttausend Franken; sie ist also reich!«
    »Ach was,« begann Lazare von neuem, »sie hat es nicht nötig, sie ist reizend wie ein Amor ... Und ein rechtes Schmeichelkätzchen!''
    Paulinens Augen hatten sich verdüstert, ein leichtes nervöses Zucken kniff ihre Lippen zusammen. Der Doktor, der den Blick nicht von ihr wandte, hob jetzt das kleine Weinglas, mit dem er gerade beschäftigt war.
    »Sagt doch, wir haben noch nicht angestoßen ... Also, auf euer Glück. Verheiratet euch schnell und bekommt viele Kinder.«
    Frau Chanteau streckte langsam ihr Glas hin, ohne zu lächeln, während Chanteau, dem die Weine verboten waren, sich begnügte, beistimmend mit dem Kopf zu wackeln. Lazare aber ergriff Paulinens Hand mit einer Bewegung so reizender Hingabe, daß dies genügte, um in die Wangen des jungen Mädchens alles Blut ihres Herzens zu treiben. War sie nicht sein guter Engel, wie er sie nannte, seine immer offene Leidenschaft, aus der er das Blut seines Genies fließen lasse? Sie erwiderte seinen Händedruck. Alle stießen an.
    »Noch hundert Jahre euch!« fuhr der Doktor fort, nach dessen Ansicht hundert Jahre das schöne Alter des Menschen sind.
    Lazare erbleichte. Diese hingeworfene Zahl machte ihn schaudern, sie beschwor die Zeit herauf, in der er nicht mehr sein werde, und vor der eine ewige Furcht in der Tiefe seines Fleisches schlummerte. Was werde er in hundert Jahren sein? Welcher Unbekannte werde dann an seinem Platze sitzen und trinken? Er leerte sein kleines Glas mit zitternder Hand, während Pauline die andere von neuem mütterlich drückte, als sehe sie über dies farblose Gesicht den eisigen Hauch des »Niemehr« gleiten.
    Nach kurzem Schweigen sagte Frau Chanteau ernst:
    »Wollen wir jetzt die Angelegenheit zu Ende führen?«
    Sie hatte für die Förmlichkeit der Unterzeichnung ihr Zimmer bestimmt. Seitdem Chanteau Salizylpräparate nahm, war er besser auf den Füßen. Er kletterte hinter ihr hinauf, wobei er sich am Geländer nachhalf, und als Lazare davon sprach, auf der Terrasse eine Zigarre rauchen zu wollen, rief Frau Chanteau ihn zurück und verlangte, daß er schon aus Schicklichkeit zugegen sei. Der Arzt und Pauline waren zuerst hinaufgegangen. Mathieu, über diese Prozession erstaunt, folgte hinterdrein.
    »Wie langweilig dieser Hund ist; überallhin kommt er uns nach!« rief Frau Chanteau, welche die Tür schließen wollte. »Marsch, hinein, du sollst nicht kratzen ... So, niemand wird uns stören ... Ihr seht, alles ist bereit.«
    In der Tat befanden sich Tintenfaß und Federn auf dem runden Tischchen. Das Gemach füllte die schwere Luft, das tote Schweigen von Räumen, die man selten betritt. Nur Minouche verbrachte dort ihre müßigen Tage, wenn es ihr des Morgens hineinzuschlüpfen gelungen war. Auch jetzt schlief sie gerade auf dem Federbette und richtete erstaunt über diesen feindlichen Einfall den Kopf in die Höhe und hielt mit ihren grünen Augen Umschau.
    »Setzt euch, setzt euch«, wiederholte Chanteau.
    Jetzt wurde die Geschichte rasch ins reine gebracht.
    Frau Chanteau tat so, als müsse sie verschwinden, und ließ ihren Mann die Rolle spielen, die sie ihn schon am Abend vorher hatte wiederholt hersagen lassen. Um dem Gesetz Folge zu leisten, hatte dieser schon vor zehn Tagen in Gegenwart des Doktors Pauline die Rechnungslegung über die Vormundschaft übergeben, die ein dickes Heft bildete, die Einnahmen auf der einen, die Ausgaben auf der anderen Seite. Man hatte alles in Abzug gebracht, nicht nur die Pension des Mündels,

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