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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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und die Freude an ihrer Tröstung. Es kamen denn auch die Armen zu ihren ausgestreckten Händen, wie die spitzbübischen Spatzen zu den offenen Fenstern der Scheunen hereinflattern. Ganz Bonneville, diese Handvoll von Fischern, elendiglich verkümmernd unter der Plage der Überschwemmungen, stieg zu dem Fräulein hinauf, wie man sie nannte. Sie aber schwärmte namentlich für die Kinder, die Kleinen, durch deren zerrissene Höschen das rosige Fleisch blickte; für die kleinen Blaßschnäbel, die sich nicht satt essen konnten und daher mit den Augen die unter sie verteilten Brotschnitte verschlangen. Die verschlagenen Eltern rechneten mit diesem zarten Empfinden und schickten Pauline ihre Brut, die zerlumpteste, die armseligste, um ihr Erbarmen noch mehr zu wecken.
    »Du siehst,« begann sie wieder, »ich habe meinen Empfangstag, den Sonnabend, wie eine vornehme Dame. Man macht mir Besuche ... Du, kleine Gonin, willst du wohl nicht dieses große Schaf Houtelards kneifen! Ich werde böse, wenn ihr nicht artig seid ... Wir wollen einmal versuchen, nach der Reihe vorzugehen.«
    Jetzt begann die Verteilung. Sie belehrte, sie schob sie hierhin und dorthin wie eine Mutter. Der zuerst Aufgerufene war der Sohn Houtelards, ein Junge von zehn Jahren, mit gelber Gesichtsfarbe und düsterer, abgezehrter Miene. Er zeigte sein Bein, er hatte am Knie eine lange Schramme, und sein Vater schickte ihn dem Fräulein, damit sie ihm etwas darauf tue. Sie versorgte das ganze Dorf mit Arnika und Borsäure. Ihre Leidenschaft, den Arzt zu machen, hatte sie nach und nach zur Anschaffung einer vollständigen Apotheke veranlaßt, auf die sie sehr stolz war. Als sie das Kind verbunden hatte, senkte sie die Stimme und gab Luisen einige Aufschlüsse.
    »Reiche Leute, diese Houtelards, meine Liebe, die einzigen wohlhabenden Fischer in Bonneville. Die große Barke gehört ihnen ... Aber von einem entsetzlichen Geiz, ein Hundeleben inmitten einem unaussprechlichen Schmutz. Und das Schlimme ist, daß der Vater, nachdem er seine Frau zu Tode geprügelt, seine Magd geheiratet hat, eine entsetzliche Dirne und noch roher als er. Jetzt mißhandeln sie beide dieses arme Wesen.«
    Ohne auf den ängstlichen Widerwillen ihrer Freundin zu achten, sprach sie wieder laut.
    »Jetzt zu dir, Kleine ... Hast du die Flasche Chinawein ausgetrunken?«
    Es war die Tochter von Prouane, dem Küster. Man hätte sie eine heilige Therese als Kind nennen können, denn sie war von Skrofeln bedeckt, von einer furchtbaren Magerkeit, mit großen hervorstehenden Augen, in denen schon die Hysterie flammte. Sie zählte elf Jahre und schien kaum sieben zu haben.
    »Ja, Fräulein,« stotterte sie, »ich habe getrunken.«
    »Lügnerin«, rief der Geistliche, ohne den Blick vom Spielbrett zu erheben. »Dein Vater roch gestern Abend wieder nach Wein.«
    Pauline wurde plötzlich böse. Die Prouane besaßen keine Barke, lasen Seespinnen und Schaltiere auf und lebten vom Krabbenfang. Aber dank seiner Stellung als Küster hätten sie alle Tage ihr Brot essen können, wenn ihre Trunksucht nicht gewesen wäre. Man fand Vater und Mutter vom Calvados, dem schrecklichen normannischen Branntwein betäubt, quer vor der Türe liegen, während die Kleine über sie hinwegschritt, um ihre Gläser abzutröpfeln. Wenn es an Calvados fehlte, trank Prouane den Chinawein seiner Tochter!«
    »Und ich mache mir noch die Mühe ihn zu bereiten!« sagte Pauline. »Höre, ich behalte die Flasche bei mir, du kommst alle Nachmittage um fünf Uhr her, und trinkst ihn hier ... Ich werde dir auch ein wenig gehacktes rohes Fleisch geben, der Doktor hat es verordnet.«
    Sodann kam die Reihe an einen großen Jungen von zwölf Jahren, den Sohn der Cuche, einen dürren Bengel, durch frühzeitiges Laster ausgemergelt. Diesem händigte sie ein Brot, einen Fleischtopf und ein Fünffrankenstück ein. Es war auch eine schmachvolle Geschichte. Nach der Zerstörung seines Hauses hatte Cuche seine Frau verlassen, um sich bei einer Base einzuquartieren, und die Frau, die gegenwärtig in dem Inneren eines in Trümmern liegenden Zollwächterhauses lebte, schlief trotz ihrer abstoßenden Häßlichkeit mit dem ganzen Dorfe. Man zahlte sie mit natürlichen Erzeugnissen, manchmal auch mit drei Sous. Der Knabe, der alles mit ansah, starb fast vor Hunger. Doch er entschlüpfte wie eine wilde Ziege, sooft auf seine zwangsweise Entfernung aus dieser Kloake die Rede kam.
    Luise wandte sich verlegen ab, während Pauline ihr diese Geschichte ohne

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