Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
und schüttelte den Kopf. Er würde sich damit begnügen müssen.
Kollege Fulcrom trat ein. »Habt Ihr die unglaublichen Gerüchte über die Kaiserin und ihre Schwester gehört? Sie sollen morgen Abend auf der Stadtmauer hingerichtet werden.«
Jeryd stieß einen erstaunten Pfiff aus. »Auf wessen Geheiß hin?«
»Wohl auf Beschluss des Rats. Der Erzinquisitor hat dem Urteil anscheinend zugestimmt. Rika wollte alle Flüchtlinge töten lassen, wurde beim Schnee-Ball aber vom Kanzler verhaftet, der von ihren Absichten Wind bekommen und Rika und Eir gestern am späten Abend vor Gericht gestellt hat. Das war wohl ein ziemliches Ereignis. Die beiden haben alles geleugnet, aber die Unterlagen belegten ihre Pläne, und viele Ratsmitglieder haben ausgesagt, dass Rika auf sie zugekommen sei und sich mit ihnen über die Entsorgung der Leichen und Ähnliches beraten habe. Einige behaupteten, die Schwestern hätten sie durch von der Stadtwache verabreichte Schläge zum Schweigen gebracht, und ein Wächter, der sicher mit Urtica unter einer Decke steckt, hat das auch gestanden. Die Ratsmitglieder sagten, sie seien froh, all das nun offen zugeben zu können, und priesen Urtica dafür, wie geschickt er für die Sicherheit der Einwohner des Kaiserreichs gesorgt habe. Und dennoch scheint es, als würden tatsächlich Leute tief ins Herz der Stadt gebracht und dort getötet.«
Jeryd ließ alles auf sich wirken und nickte langsam und nicht eben erstaunt, ekelte sich dabei aber über das, was in der schwarzen Gruft des Balmacara vorging. »Lady Rika hat diese Höhlentötungen nicht organisiert. Das ist undenkbar.«
»Stimmt«, pflichtete Fulcrom ihm bei. »Ich schätze, es stecken gewisse Ratsmitglieder dahinter … und Ovinisten, die diese Ablenkung zu weit dunkleren Zwecken nutzen. Alles ist bis ins letzte Detail geplant – diese Ovinisten … nun, sie sind offenbar sehr gerissen.«
»Das ist allein Urticas Werk, und wir haben nicht den kleinsten Beweis gegen ihn«, erwiderte Jeryd. »Unsere einzige Zeugin – wenn man sie so nennen kann – ist eine Hure und Mörderin, und sollten wir bloß ein unvorsichtiges Wort äußern, können wir von Glück sagen, wenn wir nur im Gefängnis landen und dort versauern. Urtica muss über ein gewaltiges Netzwerk gebieten, von Arbeitern über Beamte der Inquisition bis zu Ratsmitgliedern. Die Gerichtsverhandlung dient sicher dazu, die Aufmerksamkeit aller in Beschlag zu nehmen, während der Kanzler einen Massenmord begehen lässt.«
»An alle Tavernen wurden Flugblätter genagelt, und noch nach Mitternacht habe ich viele Leute gesehen, die sich um diese Bekanntmachungen versammelt hatten«, ergänzte Fulcrom.
»Wisst Ihr, was auf den Flugblättern steht?«
»Etwas über die finstere Kaiserin, die sich an ihrer Bevölkerung vergreift. Sollte Urtica das alles eingefädelt haben, ist er ein grandioser Agitator. Ich kann diese Unverfrorenheit kaum fassen.«
Jeryd lachte. »Ihr kennt die Politiker eben nicht lange genug.« Er schüttelte den Kopf und erinnerte sich der Nachrichten, die die Inquisition zum Wohle der Bevölkerung unter Verschluss halten musste, wie es hieß: das Vertuschen von Morden an Gewerkschaftsführern; die Beschaffung von Waffen für rivalisierende Stämme, um ganze Regionen zu destabilisieren; der Spionage angeklagte Diener. »Diese allgegenwärtigen Mistkerle waren schon schlimm genug, bevor die Ovinisten sich in diese Sache eingemischt haben.«
Fulcrom runzelte die Stirn. »Ovinisten gibt es überall. Können wenigstens wir zwei einander trauen?«
Während der Pause, die nun folgte, musterten die beiden Rumel sich und wussten, dass diese Frage unnötig war. Jeryd lachte leise und murmelte: »Fulcrom, wenn ich Ovinist wäre, hätte ich mir längst eine bessere Arbeit besorgt als diese.«
Das schien seinem Kollegen zu gefallen.
»Und wer will sich das Kaiserreich unter den Nagel reißen?«, fuhr Jeryd fort. »Könnt Ihr Euch den aufgeblasenen Schwachkopf Urtica an der Spitze des Staates vorstellen?«
Fulcrom zuckte die Achseln. »Das haben nicht wir zu entscheiden.«
»Stimmt.« Jeryd brauchte einen Moment, um verdrießliche Gedanken loszuwerden. »Also los! Wir müssen Leben retten.«
»In dem Tunnel, durch den die ersten Flüchtlinge in die Stadt gelassen werden, waren Soldaten aktiv. Es ist einer der ältesten Gänge. Ich hab ihn auf einem Plan markiert.«
»Gut«, sagte Jeryd. »Habt Ihr eine Ahnung, um wie viele Flüchtlinge es geht?« Es geschieht also
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