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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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Himmel auf.
    Villjamur war eine Granitfestung, deren Hauptzugang aus drei hintereinander liegenden Toren bestand. Mitten in der Stadt befand sich hoch oben und an den Fels geschmiegt hinter einem Gewirr aus Brücken und Türmen der Balmacara, die riesige Kaiserresidenz; ein kathedralenähnlicher Bau aus dunklem Basalt und glattem, schimmerndem Katzensilber. Bei diesem Wetter erschien die Stadt unwirklich.
    In den Flüchtlingslagern an der Straße der Zuflucht war es weitgehend still. Nur einige Hunde streunten zwischen den behelfsmäßigen Zelten umher. Die Straße der Zuflucht war eine dunkle Schneise und endete an den Mauern Villjamurs. In der Gegenrichtung wurde das Gelände zu Tundra, und ausgetretene Streifen am Straßenrand zeigten, dass die Flüchtlinge ständig Reisende ansprachen, um ihrem kargen Dasein zu entkommen. Heide verkümmerte, ging ins Pastellfarbene über und verlor sich in der Ferne. Das hatte mitunter eine eigene Schönheit.
    Zu dieser Tageszeit waren kaum Menschen unterwegs. Händler sah der Garuda noch keine, nur einen in Pelz gehüllten Reisenden auf dem Weg in die Stadt.
    Also wandte er sich wieder Villjamur zu.
    Städter, die vielleicht auf einen helleren Tag gehofft hatten, zündeten Laternen an. Da und dort glühte es orangefarben durch den tristen Morgen, und reich verzierte Fenster – mal groß und achteckig, mal schmal und eingewölbt – waren im Umriss zu erkennen. Es war ein Winter kleiner Lokale mit beschlagenen Scheiben gewesen, der aus Hängekörben rankenden Tundrablumen, der dauernden Rauchfahnen aus Schornsteinen; ein Winter, in dem verborgene Gärten dahinwelkten, da ihnen das Sonnenlicht fehlte, und in dem Statuen, die einst überladene Balkone geschmückt hatten, nun unter Flechten erstickten.
    Der gefiederte Wächter ließ sich schließlich auf der hohen Mauer eines nicht mehr genutzten Hofs nieder. Der rauschende Regen rief ein Gefühl des Losgelöstseins mit diesem Ort herauf, und der Garuda fragte sich, ob er in die Vergangenheit geflogen war. Er konzentrierte sich auf den pelzgekleideten Mann, den er kurz zuvor bemerkt hatte. Es war ein Fremder, der nun durch das zweite Tor getrottet kam, das in die Stadt führte.
    Der Garuda beobachtete ihn reglos, und seine Augen blinzelten nicht.
    Drei Dinge, so hoffte Randur Estevu, würden ihn hier in Villjamur von den anderen abheben: Er betrank sich nicht jedes Mal, wenn Alkohol in der Nähe war, wie bei ihm daheim üblich. Auch hörte er konzentriert zu, wenn eine Frau mit ihm sprach, oder erweckte immerhin diesen Anschein. Und schließlich war er einer der besten ihm bekannten Tänzer, vielleicht sogar der beste – und das bedeutete einiges für jemanden, der von der Insel Folke stammte. Dort nämlich lernten alle, kaum dass sie gehen konnten, zu tanzen, manche sogar ein wenig früher, da bereits von Säuglingen erwartet wurde, rhythmisch zu krabbeln .
    Provinzieller Charme würde diesen Reiz des Fremden noch verstärken, ein leichter Akzent vielleicht, gerade genug, damit die Mädchen sich für das interessierten, was er zu sagen hatte. Er war groß gewachsen und gertenschlank, was daheim den ewigen Neid dicker, klatschsüchtiger Frauen provoziert hatte. Insgesamt schätzte er seine Chancen gut ein, als er sich im Morgenregen dem letzten der drei Tore näherte. Er hatte nur ein paar notwendige Habseligkeiten, jede Menge gefälschte Familiengeschichten und tausend schlagfertige Antworten dabei.
    Randur hatte sich Sitten, Bräuche und Geschichte Villjamurs bereits eingeprägt und auf der Reise weiter dazugelernt. Für eine so wichtige Stadt musste man gerüstet sein, denn hier residierte Kaiser Jamur Johynn, und die Insel Jokull war das Herz des Kaiserreichs. Unter dem Namen Vilhallan war sie einst eine Ansammlung kleiner Bauerndörfer gewesen, die um das ursprüngliche Höhlensystem verstreut gelegen hatten, das längst unter den gegenwärtigen Bauten verborgen war. Die meisten Einwohner der Stadt waren direkte Nachfahren der frühen Siedler, die vor elftausend Jahren hier gelebt hatten, noch vor den Clan-Kriegen. Mythen gehörten untrennbar zu dieser Gemeinschaft. Angesichts dieser Geschichte und des Reichtums an Kulturen und Persönlichkeiten wurde der Stadt ein aufstrebender Charakter nachgesagt.
    Randur war wochenlang unterwegs gewesen. Irgendwo auf der Reise war er oberflächlich ein anderer geworden. Seine Mutter lebte in Ule, auf der Insel Folke. Als strenge und doch seltsam vertrauensvolle Frau hatte sie ihn allein

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