Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

still zu und wirkten zufrieden.
    Boron war auf einen höher gelegenen Ast geflogen und beobachtete von dort aus das Geschehen. Es war ihm ein absolutes Rätsel. Natürlich war er froh, dass die Eulenkinder endlich den Schnabel hielten, aber warum auf einmal? Doch eins hatte er begriffen: Jenseits der Insel Hoole lauerte eine Gefahr, die weitaus bedrohlicher war als die Eulen von Sankt Ägolius. Und wo steckte eigentlich Ezylryb? Barran war im Verlauf der Harfenprobe zurückgekehrt, doch auch sie war überrascht, dass der Kreischeulerich noch nicht wieder da war. Sie war davon ausgegangen, dass er vor ihr zum Baum zurückgeflogen war. „Aber mach dir keine Sorgen, Schatz. Bestimmt kommt er gleich.“
    Soren schielte zu dem Königspaar hoch. Die beiden taten ganz unbekümmert, aber er ahnte, dass sie sich Sorgen machten. Soren hatte selbst ein komisches Gefühl im Magen. Gylfie wandte sich nach ihm um und fasste sein Unbehagen in Worte: „Ich glaube, die beiden machen sich Sorgen, wo Ezylryb bleibt.“
    Soren erwiderte ihr blinzelnd: „Vielleicht sollten wir morgen mal losfliegen und uns nach ihm umsehen.“
    Im selben Augenblick landeten Morgengrau und Digger auf dem Ast.
    „Umsehen?“, fragte Digger. „Wonach denn?“
    „Nach Ezylryb“, beantwortete Morgengrau die Frage. „Ich habe auch gehört, was Barran gesagt hat.“
    Da erschien am Himmel plötzlich ein helles Flimmern, das in einen gleißenden Lichtschein überging.
    „Was ist das? Was ist das?“, riefen die Eulen staunend.
    „Großer Glaux, wir sind gesegnet!“, jubelte Barran.
    „Uns ist die Aurora Glaucora erschienen!“, rief nun auch Boron.
    Soren, Gylfie, Digger, Morgengrau und Eglantine sahen einander fragend an. Was redeten Boron und Barran da? Der Himmel war jetzt von farbigen Streifen überzogen. Madame Plonk verließ plötzlich ihren Platz an der Harfe und flog singend durch die Lichtbahnen. Ihr weißes Gefieder erstrahlte prächtig in allen Farben. Soren musste an den Morgen denken, als er mit der Schnee-Eule durch den Regenbogen geflogen war. Doch neben diesem flimmernden Lichtwunder verblasste jeder Regenbogen. Beinahe vergaß er seine Sorge um Ezylryb, so zog ihn die Himmelserscheinung in ihren Bann.
    Trotzdem hatte er ein komisches Gefühl im Magen. Hinter den bunten Lichtern gähnte die Finsternis. Ezylryb war verschollen, die Eulen von Sankt Ägolius trieben weiterhin ihr Unwesen und dann war da noch das undenkbare, fast unaussprechliche „schön wär’s“. Gut, Eglantine war wieder da, aber war sie noch sein geliebtes Schwesterchen von früher? Soren wusste nicht mehr, was er glauben sollte, die Lichterscheinung verwirrte ihn. Es kam ihm vor, als herrschte verkehrte Welt, als hätte sich das Eulenparadies Glaumora aufgetan und die Nacht verschluckt. Aber der äußere Anschein war trügerisch, das spürte Soren.
    Eglantine rief: „Ist das nicht schön, Soren? Ist das nicht wunderschön?“
    „Doch, doch“, erwiderte Soren geistesabwesend.
    Furcht machte sich in seinem Magen breit. Nun freu dich doch, dass du Eglantine wiederhast, versuchte er sich im Stillen zu beruhigen. Bunte Lichter hin oder her, wieder Seite an Seite mit ihr zu fliegen, ist mein Glaumora auf Erden. Und gleich morgen mache ich mich auf die Suche nach Ezylryb. Soren sah das halb geschlossene Auge des Alten vor sich, in dessen Blick unergründliche Weisheit lag. Morgen. Aber jetz t … Soren und Eglantine hoben die weißen Gesichter den bunten Lichtern entgegen, dann schwangen sie sich in die Lüfte, gerade als das Sternbild der Goldenen Krallen am Himmel erschien.
    Und doch waren die Goldenen Krallen so wenig golden, wie der Himmel in dieser Nacht schwarz war.

Anhang

    Eulen und andere Tiere
    SOREN:
Schleiereule, Tyto alba , stammt aus dem Waldkönigreich Tyto, im Alter von drei Wochen entführt
    KLUDD:
Schleiereule, Tyto alba , Sorens großer Bruder
    EGLANTINE:
Schleiereule, Tyto alba , Sorens kleine Schwester
    NOCTUS:
Schleiereule, Tyto alba , Sorens Vater
    MARELLA:
Schleiereule, Tyto alba , Sorens Mutter
    MR S PLITHIVER:
Blindschlange
    GYLFIE:
Elfenkäuzin, Micrathene whitneyi , stammt aus dem Wüstenkönigreich Kuneer, im Alter von drei Wochen entführt
    MORGENGRAU: Bartkauz, Strix nebulosa , freier Flieger, kurz nach dem Schlüpfen verwaist
    DIGGER:
Höhlenkauz, Athene cunicularius , stammt aus dem Wüstenkönigreich Kuneer, verirrte sich nach einem Überfall, bei dem sein Bruder von Jatt und Jutt umgebracht wurde, in der Wüste
    BORON:
Schnee-Eule,