Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
Reinen gelassen.
„Das kannst du mir nicht antun, Uglamore!“
„Doch, kann er“, antwortete ein stattlicher Schnee-Eulerich.
„Doktor Schönschnabel! Wollt Ihr mir nicht helfen?“
„Auf gar keinen Fall!“
Ein Vogelschwarm hatte sich über Nyra gesammelt und verhinderte, dass sie flüchtete. Unter ihr lauerten die Wölfe, und hoch über allem flog Coryn, die Glut von Hoole im Schnabel wie einen kostbaren Edelstein.
Nyra wollte sich nicht mit einem so schmählichen Tod abfinden. Es musste einen Ausweg geben! Sie kannte alle Tricks. Ihr würde schon etwas einfallen. Die Wölfe waren groß und kräftig, aber vielen fehlte ein Bein oder eine Pfote. Mit ihren Leibern hatten sie eine Mauer gebildet, doch darin klafften Lücken. Nyra musste den rechten Augenblick abpassen und dicht über dem Boden fliegen, dann konnte sie entwischen.
Da machte der kranke Wolf plötzlich einen Satz. Alle wichen panisch zurück, damit sein todbringender Geifer sie nicht traf. Das war Nyras Chance.
Ich bin frei! Sie wollte in den Steilflug gehen, aber Uglamore stürzte sich auf sie. Nyra wich ihm aus.
Coryn beobachtete das Geschehen von oben. Nicht, Uglamore!
Der kranke Wolf packte Uglamore. Nyra nutzte die allgemeine Bestürzung und floh.
„Er stirbt!“
Gyllban ging auf den kranken Wolf los, der Uglamore fallen ließ und irre heulend in den Lavafluss torkelte. Dort warf er sich auf den Rücken und wurde von den Flammen erfasst.
Wölfe und Eulen drängten sich um den sterbenden Uglamore. Der geiferkranke Wolf hatte ihm die Reißzähne mitten ins Herz gebohrt. „Zurück!“, rief Fengo, der Hauptwolf der Heiligen Garde. „Zurück! Kommt ihm nicht zu nahe, sonst müsst ihr auch sterben.“
Coryn landete. Die Eulen wichen auch vor ihm zurück, aber nicht aus Angst vor einem tödlichen Gift, sondern aus Ehrfurcht vor ihrem neuen König. Gwyndor hielt Coryn seinen Glutbehälter hin. Coryn ließ die Glut von Hoole hineinfallen, damit er den Schnabel frei hatte.
„Du hast dich für mich geopfert, Uglamore“, sagte er leise.
„Ich habe mich für den König geopfert, Nyroc.“
„Ich heiße jetzt Coryn.“
„Ein schöner Name für einen König.“
„Warum hast du die Reinen verlassen? Du warst doch einer von Nyras höchsten Offizieren.“
„Schon als du geschlüpft bist, kamen mir Zweifel …“, Uglamore rang nach Atem und verdrehte die Augen, „… Zweifel an den Überzeugungen der Reinen. Ich glaube nicht mehr … dass es reine und unreine Eulen gibt. Es ist unsere Verschiedenheit, die … uns Eulen auszeichnet. Schleiereulen, Raufußkäuze … Schnee-Eulen, Elfenkäuze …“
„Sprich nicht weiter. Es strengt dich zu sehr an.“
Inzwischen trat Schaum aus dem Schnabel des alten Eulerichs und er wand sich in Krämpfen. Die Wölfe schauten ungläubig zu, wie sich der junge König tief über den Sterbenden beugte. Uglamore lag wieder still. Er blickte Coryn tief in die Augen und Coryn erwiderte den Blick. Durch die versammelten Wölfe ging ein Raunen. „Sie schauen einander an wie Jäger und Beute beim Lochinvyrr!“, sagte ein Wolf halblaut.
„Wie bei einem Lochinvyrr zwischen einem König und seinem treuen Diener, der für ihn sein Leben hingegeben hat“, ergänzte ein anderer.
Coryn trat langsam von dem toten Uglamore zurück. „Schmiede und Glutsammler“, rief er in so gebieterischem Ton, dass er selbst verblüfft war, „bringt eure Glut herbei! Lasst uns diesen edelmütigen Eulerich würdig bestatten.“
Bald loderten Flammen von dem Leichnam auf, und die Funken trieben in die Nacht hinaus. Gyllban und Hamisch standen neben Coryn. Sie legten die Köpfe zurück und heulten. Die Wölfe ringsum stimmten ein.
Coryn schaute den Funken nach. Sie schienen zu den Sternen emporzusteigen.
„Sein Geist wandert auf dem Sternenpfad zur himmlischen Höhle der Seelen“, sagte Hamisch leise.
„Nach Glaumora“, sagte Coryn.
„Ja, nach Glaumora“, pflichtete ihm der junge Wolf bei.
Coryn wandte sich nach seinem Freund um. „Was ist denn mit dir passiert, Hamisch? Dein Bein ist ja wieder gerade!“ Coryn ließ den Blick über die anderen Wolfswachen wandern. Der Hauptwolf Fengo stand wieder auf allen vier Pfoten und der vormals einäugige Banco blickte aus zwei grünen Augen in die Welt. Schwänze und Ohren waren nachgewachsen, schiefe Hüften wieder ausgerichtet.
„Wie kommt das?“, fragte Coryn staunend.
Fengo trat vor, duckte sich und blickte Coryn von unten herauf an. „Seit vielen, vielen
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