Die Legende der Wächter 8: Die Flucht
wiedergeboren wurden? Wog das all ihre Entbehrungen auf? Nein , dachte Gyllban. Ein Wolf muss seine Jungen in der Welpenhöhle aufziehen, sich mit den Edlen seines Clans in der Streunerburg versammeln und nach den Regeln des Lochinvyrr seine Beute erlegen. Erst das macht sein Leben lebenswert!
Schande über ihren eigenen Clan, der die alten Jagdbräuche vergessen hatte und gesunde Welpen verstümmelte! Schande über die MacHeath mit ihrem Neid und ihrem Rachedurst! Schämen sollten sie sich für ihre Grausamkeit und ihr Bündnis mit den machthungrigen Eulen! Gyllban wandte den Kopf und erblickte Coryn. Inzwischen hatten die anderen Eulen mitbekommen, dass er wieder da war. Er umrundete immer noch einen Vulkan nach dem anderen. Viele Eulen waren gelandet, um ihn nicht beim Fliegen zu behindern.
Auf einem Felsen saßen zwei Eulen, die Coryns Rückkehr vom ersten Augenblick an aufmerksam verfolgt hatten. Otulissa hielt ausnahmsweise den Schnabel und Gwyndor saß reglos da und schien kaum zu atmen. Doch in den Mägen der beiden herrschte heller Aufruhr. Sie ahnten, was geschehen würde.
Abgesehen vom Pfeifen des Windes und dem gelegentlichen Geheul der Wolfswachen war es im Vulkankreis still geworden. Coryn flog inzwischen die fünfte Runde. Ihm entging nicht, dass Otulissa und Gwyndor ihn beobachteten. Er hatte auch Hamisch entdeckt, dessen Schicht offenbar zu Ende war, denn er lief nicht mehr zwischen Dunmore und Sturm hin und her. Coryn hatte ein schlechtes Gewissen, dass er seinen Freund in den letzten Tagen vernachlässigt hatte. Hoffentlich hatte er später überhaupt noch Gelegenheit, das wiedergutzumachen!
Abgesehen von diesem flüchtigen bangen Gedanken war Coryn so ruhig wie noch nie. Sein Magen erwartete gelassen die Herausforderung. Und diese Herausforderung erforderte Geduld. Im Grunde seines Magens wusste Coryn, dass ihm sein Inspektionsflug nicht offenbaren würde, in welchem Vulkan die Glut von Hoole lag. Er war aber sicher, dass er im rechten Augenblick irgendein Zeichen erhalten würde.
Es gab noch eine Eule, die Coryn nicht aus den Augen ließ. Für eine Schmiedin flog sie reichlich unbeholfen. Sie stellte ihr Werkzeug und den Glutbehälter so ungeschickt auf die Erde, dass es schepperte, aber der Wind übertönte das Geräusch. Niemand drehte sich nach ihr um. Alle hatten nur Augen für den jungen Schleiereulerich, der nun zu seinem sechsten Rundflug ansetzte. Nur die Wolfswachen auf den Knochenhügeln hatten die Ohren angelegt und das Nackenfell gesträubt, kaum dass sie die fremde Schmiedin erblickt hatten. Sie verständigten sich wortlos: Achtung! Eule in böser Absicht! War die Fremde ebenfalls auf der Suche nach der Glut von Hoole? Würde es zum Kampf zwischen ihr und dem jungen Schleiereulerich kommen? So etwas hatte es in der langen Geschichte der Heiligen Vulkane noch nicht gegeben.
Die Wölfe irrten sich. Die vermeintliche Schmiedin hatte nicht vor, Coryn an der Bergung der Glut zu hindern. Nyra hatte nicht die geringste Lust, sich in einen brodelnden Vulkankrater zu stürzen. Das überließ sie gern ihrem Sohn – und wenn er dabei verbrannte, auch gut. Dass er Hooles Nachfolger sein sollte, war doch totaler Blödsinn! Sollte es ihm aber wider Erwarten doch gelingen, die Glut von Hoole an sich zu bringen, dann würde sie sich auf ihn stürzen und ihm seine Beute abjagen. Sie würde ihn töten und die Glut den MacHeath überlassen. Damit hätte sie ihren Teil des Versprechens eingelöst. Zum Dank würden ihr die Wölfe zur Herrschaft über alle Eulen dieser Welt verhelfen. Ach, wenn mein geliebter Kludd das doch nur miterleben könnte!
Coryn spähte in den brodelnden Krater des Dunmore. Über diesem Vulkan hatte er seinen ersten Glutsammlerflug unternommen. Seine Ausbeute hatte ihm zwar das Bild der Glut von Hoole gezeigt, doch Coryns Magen sagte ihm, dass sie hier nicht zu finden war. Er flog zu den Vulkanen Morgan, Sturm und Kjell weiter. Als er zum Hrat’gar kam, fiel ihm am Rand des Kraters etwas auf. Er flog auf der Stelle und schaute noch einmal hin. Der Felsen schien nach und nach durchsichtig wie Glas zu werden. Ob das den anderen Eulen auch auffiel? Weiter unterhalb des Kraters kreisten einige Eulen um den Berg. Aber Coryn ahnte, dass sie nicht sahen, was er sah. Sie waren nur aus Neugier zum Hrat’gar geflogen, weil Coryn so lange über diesem Vulkan verweilte.
Durch die Glaswand erblickte Coryn die Glut von Hoole mit ihrer unverwechselbaren grünen, blau umrandeten
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