Die Legende unserer Väter - Roman
müde aussah. Ihr Vater habe mir schon gesagt, dass sie ihm die Biographie zu seinem Geburtstag schenken wolle. Ja, das Buch könne rechtzeitig gedruckt werden. Lächelnd klappte sie ihren Kalender auf. Der Einband. Schlicht, matt lackiert, mit einem Bild ihres Vaters? Die etwas unscharfe alte Schwarzweißaufnahme vielleicht, die ich bei ihm gerahmt im Bücherregal stehen gesehen hatte? Da musste er knapp über zwanzig gewesen sein. Oder doch lieber ein aktuelles Farbfoto? Oder beides? Das sei ihre Entscheidung. Beides vielleicht. Lupuline nickte. Das sei eine gute Idee. Sie sprach mit leiser Stimme und strich von Zeit zu Zeit ein Wort aus ihrem Kalender. Eine Einleitung wolle sie nicht mehr schreiben. Das würde ja nun ich übernehmen, wie sie von ihrem Vater wisse. Eine kurze Vorstellung meiner Arbeit. Ich sei mir nicht sicher, erwiderte ich, ob das das Richtige sei. Vielleicht wäre es besser, gleich auf dem Friedhof von Annequin, vor dem Grab, einzusteigen. So würde der Leser gleich von den ersten Worten gepackt und käme nicht mehr zu Atem.
»Wie in einem Roman?«, fragte Lupuline.
»Wie in einem Roman«, sagte ich.
Sie stellte noch ein paar unbedeutende Fragen. Nach demGewicht des Papiers, der Farbe – Elfenbein oder reines Weiß? Der Anzahl der Seiten. Mit Lesebändchen? Ich notierte alles. Ich hatte noch Fieber. Ihr Füller strich ihre kleinen Sorgen, ihre nichtigen Problemchen. Ich glühte. Ich wollte, dass sie ging. Sie bestellte dreißig Exemplare. Noch einmal fragte sie, ob denn wirklich alles fertig wäre bis zum 28. Oktober. Ja, es sei ein bisschen eng, aber möglich. Vor vier Jahren hatte ich den Verlag »Éditions de l’Arnommée« gegründet, das heißt in der Sprache der Sch’tis »Edition des Ruhms«. Ein kleiner Drucker behandelte meine Arbeit bevorzugt. Dreißig Exemplare waren für ihn ein Klacks. Ich musste es nur noch fertig schreiben. Mich Tag und Nacht in das Herz Beuzabocs versenken. Dafür müsste ich ihn noch einmal treffen und dann endgültig vergessen.
»War das jetzt alles?«
Es war alles. Ich bot ihr vier Exemplare mehr an. Zum selben Preis. Sie gab mir lächelnd die Hand. Stellte fest, dass ich glühte. Blieb irgendwie distanziert. Ich würde ihr mein Werk aushändigen. Sie war die Kundin. Sie zahlte. Es war ihr Geschenk. Ich riefe sie an, wenn das Buch fertig sei.
Sie wollte aufstehen. Zögerte.
»Und es wird genauso sein wie in meiner Erinnerung, versprochen?«
»Ihr Vater hat mir sogar Ihr Zimmer gezeigt.«
Erstaunter Blick.
»Sie sind auf meinem Bett gesessen?«
»Ja.«
»Und er auf meinem Hocker?«
Sie sah mich noch einmal an. Strahlend. Dann begann sie zu erzählen.
Als Kind träumte sie die Geschichten ihres Vaters. Schloss die Augen, wenn es Abend wurde, und versetzte sich in die Scheune, wo sie ihren Anführern die Worte des englischen Fliegers dolmetschte. Sah sich leise lachen und am Bauernschnaps nippen. Wollte gern älter sein und irgendwie verliebt. In Wimpy, in Pierre Martin, den Sohn des »Stillen Vaters« in dem Film René Cléments. Konnte sich zwischen beiden Helden nicht entscheiden. Lange Zeit fantasierte sie sich auf die Landstraße nach Annequin, sie fuhr mit dem vierten Fahrrad hinter ihrem Vater, Maes und Deloffre. Manchmal war ihr Vater gar nicht dabei, weil eine gefährlichere Mission ihn davon abhielt. Dann führte sie die kleine Truppe an. Von ihr war der Blumenstrauß für Albert Osborne. Sie hatte auch die kleine britische Fahne genäht und eigenhändig die Widmung mit »3 junge Franzosen« unterschrieben. Wenn Trompette verhaftet wurde, weinte Lupuline. Sie folgte ihm mit den Flugblättern im Ranzen. Trompette machte etwas Freches, Kindliches, Französisches. Er furzte mit dem Mund. So wurden die Deutschen auf die beiden aufmerksam. Fanden die Flugblätter. Wollten Lupuline verhaften. Um sie zu retten, wurde er zur Geisel, geschlagen und ermordet. Als Kind war sie ein bisschen in Pierre Martin verliebt, sehr in Wimpy und in Trompette grenzenlos.
Die Schwelle des Todes allerdings habe sie in ihren Träumen nie überschritten. Nie dem Vater geholfen, den deutschen Soldaten zu töten. Ihn nur machen lassen und von fern mit aller Kraft für ihn gebetet. Nie Sprengstoff unter einer Schiene deponiert. Erst in der Bombennacht war sie wieder bei ihrem Vater, an seiner blutenden Seite. Half ihm, sich hinzusetzen, und sprach ihm Mut zu. Sie eilte zu Hilfe,brachte Rettung. Hustete im Schlaf wegen der Wolken aus Gips und Ziegelstaub. Wich den
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