Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Sisaroth es nannte. Er und die Cîanai zogen sich zwischendurch dahin zurück, um in Ruhe zu schreiben, zu grübeln oder eine Erholungspause einzulegen.
»Serîdai? Lebst du noch?«
Die Albin tauchte aus weißlichen Schwaden auf und hob die Hand als Zeichen, dass alles in Ordnung war. »Hier bin ich, Aklán«, antwortete sie heiser. »Verzeih, ich hatte mehr Erfolg als berechnet.«
Sisaroth grinste. Er mochte es, als Gott bezeichnet zu werden, ohne dass er darauf bestehen oder sie daran erinnern musste. Der schwache Geruch von Waldbeeren und Minze hing im Raum. »Was hast du gemischt? Pastillen zur Erfrischung?«
Serîdai lachte und hustete gleichzeitig. »Nein, ich suchte nach einer Möglichkeit, den Geschmack des faulenden Blutdestillats zu übertünchen, doch es ist nicht leicht.«
Sisaroth sah die spindeldürre Albin auf sich zukommen, die in dem weißfleckigen Gewand an einen schmutzigen Spuk erinnerte. Die langen blonden Haare trug sie in einem Zopf, den sie schalgleich um den Hals gelegt hatte. »Du solltest mehr essen, Serîdai. Sonst stirbst du mir an Entkräftung.«
»Das würde ich niemals, Aklán«, widersprach sie entrüstet, und ihre helle Stimme klang wie das Rascheln des Windes. »Nicht bevor wir den Trank erschaffen haben, um die Unterirdischen stärker an uns zu binden.«
»Auch dann nicht! Wir werden Nachschub benötigen.« Sisaroth legte ihr eine Hand auf die Schulter und spürte nichts als Knochen und Haut. Sah sie von Beginn an ausgemergelt aus? Er schob es auf das unentwegte Einatmen der Ausdünstungen. Die Abzüge bewahrten nicht vor sämtlichen giftigen Stoffen.
Serîdai nickte ehrfürchtig. »Das letzte Destillat, das wir vor siebenhundert Momenten der Unendlichkeit aufstellten, ist durch die Pulverfilter gelaufen, Aklán«, erstattete sie Bericht und wies nach links auf einen leergeräumten Tisch, auf dem eine verkorkte bauchige Phiole stand. »Beschaffenheit und Farbe sind einwandfrei, und wenn du es berührst, wirst du die enthaltene Magie darin fühlen. Das Tonikum ist enorm potent.«
»Was uns nichts nützt, solange es keinen Träger findet, der eine Anwendung überlebt.« Sisaroth blickte zum Gefäß, in der die Menge eines halben Bechers voll schwarzer, zäher Flüssigkeit schwamm. Mehr war von dem Eimer Elbenblut nicht übrig geblieben, das sie unter Zuhilfenahme verschiedener Substanzen verarbeitet hatten. »Das war das letzte Elbenblut?«
»Ja. Im Eiskeller lagert nichts mehr. Wir brauchen dringend neue Spitzohren«, bestätigte Serîdai. »Dein Bruder sollte die Begehrer einsetzen, um Siedlungen aufspüren zu lassen, Aklán.«
»Das sollte er.«
»Und Untergründige bräuchten wir ebenso.«
»Sicherlich.« Sisaroth ging an ihr vorbei und steuerte auf seine Denkkammer zu. »Ich rede mit Tirîgon.« Auch wenn es ein mehr als schwieriges Unterfangen wird.
Nach dem Überfall auf das Elbendorf bei ihrem Auftauchen in Tark Draan hatten sie zwar Kenntnisse von weiteren Orten erhalten, an denen sich die Todfeinde aufhielten, aber die meisten waren schon wieder verlassen, sobald sie ihre Krieger dorthin sandten. Den letzten Elb hatten sie vor einem Achtel Teil der Unendlichkeit gefangen und ausgeschlachtet. Buchstäblich.
»Aklán! Ein Geschenk erwartet dich«, rief sie ihm verheißungsvoll nach.
»Ach ja. Tirîgon erwähnte es. Mit Brandflecken.« Er sah sich um. Seine Neugier war von den Überlegungen zum Tonikum vorübergehend erstickt worden. Nun loderte sie wieder. »Wohin stellte er es?«
Serîdai wies auf die beschlagene, dicke Tür zu den Verliesen. »Dort hinein.«
»Kein Elb?«
»Kein Elb. Und er … verbat mir, darüber zu sprechen.«
Sisaroth runzelte die Stirn, schritt auf den Eingang zu und betätigte die Kurbeln, welche die dicken, schweren Eisenbolzen aus den Halterungen zogen. Nur ein Drache oder ein schwereres Wesen würde dank seiner Masse und der Wucht aus dem Verlies ausbrechen können, alle anderen blieben auf die Gnade der Drillinge angewiesen.
Klickend entriegelten die armdicken Zapfen die Tür.
Sisaroth öffnete das gewaltige Schott spielend leicht dank der findigen Lagerung der Scharniere. Der Gang dahinter war von Öllampen beleuchtet, das schwache Licht genügte den Albaugen vollkommen.
Er ging los, seine Neugier stieg mit jedem lautlosen Schritt.
Nach zwei weiteren Gittern, deren Schlösser er mit seinem Siegelring aufsperrte, gelangte Sisaroth in den Sammelraum, wo sich zurzeit nur ein einziger Gefangener befand.
Angekettet an einer
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