Die leichten Schritte des Wahnsinns
werde, so wie es in allen normalen Ländern
existiere.
Die Sache wurde rasch und zügig aufgeklärt, und vorgestern hatte Sergej alles Material mit reinem Gewissen der Staatsanwaltschaft
übergeben. Drei der fünf am Leben gebliebenen Nachwuchsbanditen saßen in Einzel-Untersuchungshaft. Das Rätsel vom moralischen
Absturz der getöteten Miliz-Mitarbeiter war gelöst, die Erklärung banal und einfach. Nicht als Kettenhunde, nur als dienstfertige
Schoßhündchen hatten sie Drossel gedient – bestochen durch Geldzuwendungen und nahrhafte Brocken vom Tisch des Herrn.
Heute morgen aber hatte sich herausgestellt, daß die Ängste des Sängers nicht grundlos gewesen waren: Man fand Asarow tot
in der Wohnung seiner Geliebten, des zwanzigjährigen Models Veronika Rogowez.
Um neun Uhr morgens war Veronika mit ihrem Hund, dem irischen Setter Willie, spazierengegangen. Asarow schlief noch. Den morgendlichen
Spaziergang mit dem Hund verband Veronika meist mit halbstündigem Joggen durch den Park.
Als sie fünf nach halb zehn wieder nach Hause kam, stand die Wohnungstür offen. Asarow lag auf dem Fußboden imFlur, nur mit einem Frotteebademantel bekleidet. Sein Kopf wies einen glatten Durchschuß auf, die Pistole vom Typ »Walter«,
aus der der tödliche Schuß abgegeben worden war, lag neben der Leiche. Es wurden keine Fingerabdrücke gefunden außer denen
der Wohnungsinhaberin und des Ermordeten.
Vorläufig war nur eins klar: Der Mörder hatte die Möglichkeit gehabt, leise und unbemerkt in die Wohnung der Rogowez einzudringen,
das heißt, er hatte einen Hausschlüssel und vielleicht auch einen Wohnungsschlüssel. Entweder hatte Asarow selber dem Mörder
die Tür geöffnet, oder der hatte sie aufgeschlossen. Wahrscheinlicher war ersteres, denn Asarow schlief um diese Zeit gewöhnlich
sehr fest, und wenn der Mörder die Tür mit einem eigenen Schlüssel geöffnet hätte, wäre Asarow im Bett erschossen worden.
Es war nicht auszuschließen, daß der Mörder ein Bekannter von Asarow und Veronika war. Allerdings hatte das Paar einen so
riesigen Bekanntenkreis – darunter auch Personen aus dem kriminellen Milieu –, daß eine Überprüfung Monate dauern konnte.
Natürlich drängte sich von selbst der vernünftige und einfache Gedanke auf, daß Asarow von den Freunden und Mitstreitern der
jugendlichen Ganoven, gegen die er ausgesagt hatte, erledigt worden war. Und so begann Teil zwei der erfolgreich beendeten
Voruntersuchung der Schießerei im »Recken«. Die vorgesetzte Behörde war überzeugt, daß man die Enden dort, im Gemetzel beim
Festbankett, suchen müsse. Mischa Sitschkin, Untersuchungsführer der Einsatzgruppe, war anderer Ansicht. Er und Sergej wußten
aus Erfahrung, daß solche auf der Hand liegenden Versionen nur zu oft ins Nichts führten. Gut möglich, daß der Mord an dem
Popstar mit dem Blutbad im »Recken« gar nichts zu tun hatte.
Bei dem Gedanken, daß er durch London spazierenwürde, während Mischa Sitschkin diese schwierige und unangenehme Untersuchung leiten mußte, bekam Sergej ein schlechtes Gewissen.
In London, dachte er, war jetzt sicher schon richtiger Frühling. Er flog zum ersten Mal in seinem Leben ins Ausland – und
dann gleich nach England. Während er in die Krassinstraße einbog und das Auto vor dem Haus einparkte, ertappte er sich dabei,
daß er schon jetzt, obwohl er noch gar nicht fort war, Heimweh nach seiner Familie hatte.
Seit gut zwei Jahren war er verheiratet. Manchmal kamen ihm diese fünfundzwanzig Monate wie ein einziger langer, glücklicher
Tag vor, und manchmal meinte er, seine Frau Lena schon immer gekannt zu haben – niemand sonst auf der Welt stand ihm näher
und war ihm lieber.
Bevor sie sich kennenlernten, hatten beide schon ihre Erfahrungen gesammelt – mit der Ehe und auch mit dem Alleinleben. Lena
war schon zweimal verheiratet gewesen, Sergej einmal; mit seiner ersten Frau Larissa hatte er zwölf Jahre zusammen gelebt.
Ein Jahr nach der Scheidung hatte er Lena Poljanskaja getroffen. Er hatte geglaubt, er würde nie wieder heiraten und den Rest
seines Lebens als Junggeselle verbringen, hin und wieder unterbrochen durch eine kleine, zu nichts verpflichtende Affäre.
Auch Lena hatte eigentlich nicht vor zu heiraten. Sie erwartete von ihrem zweiten Mann, von dem sie bereits geschieden war,
ein Kind, das sie allein aufziehen wollte.
Als Lena und Sergej sich dann begegneten, waren ihre bitteren Erfahrungen wie
Weitere Kostenlose Bücher