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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Tagen werde ich verheirathet und….
    – Und der Glücklichste unter der Sonne sein! fiel der Optimist ein. Pass’ auf, alle Vorzeichen sind Dir günstig!«
    Wirklich warfen eben die Lampen knisternd einen fahlen Schein, die Elstern schaukelten sich auf den Blumenguirlanden der Fenster und wagrecht schwammen die kleinen Theeblätter in den Tassen. Lauter günstige und für untrüglich angesehene Vorbedeutungen.
    Alle beeilten sich denn auch, ihren Wirth zu beglückwünschen, der diese Gratulationen indeß sehr kühl aufnahm. Da er die Person, welche die Rolle des »neuen Elementes« zu spielen bestimmt war, aber nicht selbst nannte, beging auch Niemand die Indiscretion, ihn danach zu fragen.
    Der Philosoph allein hatte bei den eifrigen Beglückwünschungen geschwiegen. Mit gekreuzten Armen und halbgeschlossenen Augen saß er da, während ein ironisches Lächeln seine Lippen umspielte, so als ob er weder mit den Darbringern, noch mit dem Empfänger jener Gratulationen vollkommen einverstanden wäre.
    Da stand der Letztere selbst auf, legte die Hand auf seine Schulter und fragte mit weniger ruhiger Stimme, als man sonst bei ihm gewöhnt war:
    »Bin ich etwa schon zu alt, um zu heirathen?
    – Nein.
    – Vielleicht zu jung?
    – Noch weniger.
    – Meinst Du, daß ich Unrecht thue?
    – Vielleicht!
    – Die, welche ich gewählt und die Du übrigens kennst, besitzt alle Eigenschaften, um mich glücklich zu machen.
    – Das weiß ich.
    – Nun und….
    – Du hast nicht alle Eigenschaften, um es zu werden. Sich im Leben allein zu langweilen, ist schlimm! Zu Zweien – das ist noch schlimmer!
    – Ich werde also niemals glücklich sein?….
    – Nein, wenigstens wenn Du das Unglück nicht kennen lernst.
    – Das Unglück kann mich nicht treffen!
    – Desto schlimmer, so bist Du unheilbar!
    – O, über diese Philosophen! rief der jüngste der Freunde. Man darf gar nicht auf sie hören. Das sind Theorie-Maschinen. Sie fabriciren dergleichen von jeder Sorte! Es ist nicht der Mühe werth, darauf Gewicht zu legen. Verheirathe Dich, bester Freund, nimm Dir ein Weib! Ich würd’ es Dir nachthun, hätte ich nicht gelobt, unvermählt zu bleiben. Tritt in die Ehe, und mögen, wie unsere Dichter sagen, die beiden Phönix Dir immer in trautem Bunde erscheinen. Ich trinke auf das Wohl unseres Wirthes, meine Freunde!
    – Und ich, erwiderte der Philosoph, auf das demnächstige Eingreifen einer barmherzigen Schutzgöttin, die unseren Freund, um ihn glücklich zu machen, einmal die Schale des Unglücks kosten läßt!«
    Nach diesem bizarren Trinkspruche erhoben sich die Tafelgenossen und berührten einander mit vorgestreckten Fäusten, etwa wie die Boxer vor dem Wettkampfe; dann senkten sie die Hände langsam, erhoben sie, sich dazu verbeugend, wieder und nahmen von einander Abschied.
    Aus der Beschreibung des Saales, in dem obige Mahlzeit abgehalten wurde, aus dem eigenartigen Speisezettel der letzteren, aus der Kleidung der Tischgäste und der Art ihrer Ausdrucksweise, vielleicht auch aus der Eigenthümlichkeit ihrer Theorien hat der Leser wahrscheinlich schon errathen, daß hier von Chinesen die Rede ist, doch nicht von solchen »Kindern des Himmels«, wie man sie wohl auf spanischen Wänden oder importirtem Porzellangeschirr abgebildet sieht, sondern von modernen Bewohnern des »Himmlischen Reiches«, welche durch ihre Studien, ihre Reisen und häufigen Berührungen mit den Völkern des Abendlandes schon halb und halb »europäisirt« waren.
    Der reiche Kin-Fo hatte in Begleitung seines von ihm unzertrennlichen Hausgenossen, des Philosophen Wang, vier seiner vertrautesten Jugendfreunde, nämlich Par-Shen, einen Mandarinen vierter Klasse mit blauem Knopfe, Yin-Pang, einen reichen Seidenhändler aus der Pharmaceuten-Straße in Canton, Tim, den vollendeten Lebemann, und Hual, den Gelehrten, auf einem der bekannten Blumenschiffe des Perlenflusses bewirthet.
    Es geschah das am siebenundzwanzigsten Tage des vierten Mondes während der ersten der fünf Wachen, in die man die Stunden der chinesischen Zeit so poetisch einzutheilen pflegt.
Zweites Capitel.
In welchem Kin-Fo und der Philosoph Wang dem Leser etwas eingehender dargestellt werden.
    Wenn Kin-Fo seinen Freunden einen Abschiedsschmaus in Canton gegeben hatte, so kam das daher, daß er selbst einen Theil seiner Jugend in jener Hauptstadt der Provinz Kuang-Tong verlebte. Von den zahlreichen Bekannten, an denen es einem reichen, freigebigen jungen Manne ja niemals fehlt, waren ihm

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