Die Leidenschaft des Cervantes
verkündete mein Brotherr danach, er werde die Vorrede zu seinem Don Quijote Teil II schreiben, die er im Lauf der Jahre endlose Male umformulierte. Letztlich hieß es dort, sein Roman würde »weniger prahlerisch und anstößig auf die Leser wirken« als das Original, dass Cervantes kein Recht habe, sich zu beklagen, er würde »seinem zweiten Teil Gewinn entziehen«, oder sich zu ärgern, dass Avellaneda einen zweiten Teil schrieb, denn »es ist nichts Neues, dass zwei Personen dieselbe Geschichte schildern.« Zu seiner Verteidigung führte er die vielen Arcadias an, die geschrieben worden waren, und er wisse, dass er nie Cervantes Billigung finden könne, denn es sei bekannt, dass dieser »so alt ist wie die Burg von Cervantes … und wegen seines vorgerückten Alters … hat er alles und jeden verprellt.« Er schrieb, er entschuldige die Fehler in Cervantes’ erstem Teil, weil er »unter Leuten im Gefängnis geschrieben wurde«, und es sei ja hinlänglich bekannt, dass Gefangene »klatschsüchtig, ungeduldig und gereizt« seien, und schließlich, dass sein Don Quijote Teil II im Gegensatz zu Cervantes’ Teil I »nicht Lüsternheit lehrt, sondern nicht dem Wahn zu erliegen.«
Mir wurde klar, dass dieser gehässige Mensch nicht über mich erhaben war, außer, was seinen Wohlstand betraf. Nie mehr verwendete ich, zumindest im Selbstgespräch nicht, den Ehrentitel »Don«. Es war nachvollziehbar, dass er besessen war von einem Freund, der ihn in seiner Jugend hintergangen hatte, aber ein Buch zu schreiben, um die wirtschaftliche Zukunft eines anderen Mannes zu ruinieren, eines Mannes, der alt, arm und ein Krüppel war – das würde keiner außer einem herzlosen spanischen Edelmann tun. Es war eine unverzeihliche Sünde.
Er muss gemerkt haben, dass ich mich innerlich von ihm entfernte, denn bald nachdem er seine Vorrede geschrieben hatte, sagte er am Ende eines unserer Arbeitstage zu mir: »Pascual, Er hat sich lange Zeit als treuer Freund erwiesen, und ich danke Ihm für Seine Unverbrüchlichkeit in diesen Jahren, in denen mich so viel Leid heimsuchte. Er hat mir allen Grund gegeben, Ihm zu vertrauen. Aber ich muss Ihn bitten, niemandem gegenüber das Buch zu erwähnen, das ich jetzt schreibe. Habe ich Sein Versprechen?«
»Euer Gnaden, wenn es Euch eine Beruhigung ist«, sagte ich rasch, »schwöre ich auf das Andenken meiner Mutter, dass Euer Geheimnis mit mir sterben wird.«
Bald nach diesem Gespräch verkündete Luis, er habe ein neues Testament verfasst, in dem »Er großzügig bedacht wird«, wie er mir sagte. Ich hatte keinen Grund, seinen Worten nicht Glauben zu schenken: Er war außerordentlich wohlhabend und hatte keine nahestehenden Verwandten oder Freunde. Seine Frau, Doña Mercedes, war gestorben, bald nachdem die Nachricht von Pater Diegos Tod in Madrid eingetroffen war. Mir war klar, dass er auf diese Art meine bedingungslose Loyalität erkaufte und sicherstellte, dass ich sein Geheimnis nicht verriet und sein treuer Komplize blieb. Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft, dachte ich.
Luis Lara war fast zwanzig Jahre älter als ich. Seit dem Tod seines Sohnes hatte er sein Äußeres völlig vernachlässigt. Abgesehen davon, dass er die Sonntagsmesse besuchte, ging er nur selten aus dem Haus, er ließ den Großteil seines Essens auf dem Teller liegen, verbrachte viele Stunden betend auf den Knien in der Familienkapelle, schlief nur wenig und war so dünn, dass sein Körper einen heftigen Sturz oder eine schwere Krankheit nicht überstehen würde. Ich konnte ihn nicht nach der Art des Vermächtnisses, das er mir zudachte, fragen, aber hin und wieder ließ ich meiner Fantasie freien Lauf und glaubte, ich würde bei seinem Tod sein Haus mit der ganzen Einrichtung erben, dazu den Ertrag zumindest eines seiner Weinberge. Außerdem gab es noch die mit Gold- escudos gefüllten Truhen in seinen Gemächern. Außer seinem Leibdiener Juan wusste niemand davon. Aber Juan war so alt und einfältig, dass ich ihn nicht als Gefahr zu betrachten brauchte. Alles, was ich bis zu dem Moment von Luis’ Tod tun musste, war, ihn zufriedenzustellen und geduldig abzuwarten, bis ich wieder ein wohlhabender Edelmann war und in dem selben Ansehen wie meine Vorfahren stand. Der Tag würde kommen, an dem das Wappen der Laras an der Eingangstür durch das der Familie Paredes ersetzt werden würde.
Luis arbeitete in seinem zögerlichen Tempo an seinem Roman weiter. Als 1608 eine neue Ausgabe des Don Quijote erschien,
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