Die Leidenschaft des Cervantes
Vormittag in der Bibliothek zu treffen. Don Luis saß in seinem Sessel am Fenster, ich am langen Tisch vor einem Stapel Schreibpapier und einem Tintenfass, die Kielfeder gezückt, um ein Diktat entgegenzunehmen. Meist sprach Don Luis über das Buch, das er schreiben wollte: »Ich werde etwas Bedeutendes schaffen«, pflegte er zu sagen. »Ich werde ein großes Werk verfassen. Etwas Geringeres genügt nicht.«
Allmählich glaubte ich schon, er würde überhaupt nichts zu Papier bringen, ob bedeutend oder nicht. Oft saßen wir stundenlang da, ohne dass auch nur ein Wort fiel. Eines Tages dann, bald nachdem er erfahren hatte, dass Cervantes wieder nach Madrid umgesiedelt war, sagte er: »Pascual, ich kann ihm nicht allen Ruhm überlassen.«
Ich griff nach dem Kiel, als wollte ich zu schreiben beginnen, ein bloßer Reflex.
»Was macht Er da, Er Schwachkopf! Ich diktiere Ihm nicht mein Buch.«
Das war das erste Mal, dass er mich beleidigte. Trotz seiner herablassenden Art hatte er mich nie schlecht behandelt. Ich schluckte schwer und tat mein Bestes, mir die Demütigung nicht anmerken zu lassen.
»Nach langem Nachdenken und Beten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich den zweiten Teil des Don Quijote schreiben werde. Wenn andere eine zweite, dritte und vierte Folge von Diana und Amadise schreiben können, wer möchte mir dann das Recht absprechen, einen zweiten Teil des Don Quijote zu verfassen? Das ist eine altehrwürdige Tradition.« Er starrte mich an und wartete auf meine Reaktion.
»Natürlich ist das Euer Recht, Don Luis«, pflichtete ich ihm hastig bei. »Außerdem«, fügte ich hinzu, »wird Euer zweiter Teil besser sein als Cervantes’ erster.«
»Danke, Pascual. Natürlich wird er weit besser sein. Ich bin ein gebildeter Mann, ich kenne die Klassiker, ich habe die Universität besucht, wo ich Lateinisch und Altgriechisch lernte. Ich bin überzeugt, dass ich einen besseren Roman als Miguels schreiben kann, nicht nur meiner höheren Bildung wegen, sondern auch, weil ich ein moralischer Mensch bin. Sein Don Quijote ist ein gotteslästerliches Buch. Jawohl, gotteslästerlich. Pascual, ich wähle meine Worte mit Bedacht und weiß genau um ihre Bedeutung. Hätte nicht unser König es gutgeheißen, wäre das Buch ins Visier der Inquisition geraten.« Er verstummte kurz, um zu Atem zu kommen. »Mein Roman hingegen«, fuhr er fort, »wird den Zustand der Unmoral widerspiegeln, den ich überall in der spanischen Gesellschaft erkenne und für den Miguels Don Quijote der beste Beweis ist. Hat Er gelesen, wie Miguel am Ende seines Romans auf die künftigen Fahrten seines Ritters verweist? Nun denn, ich greife die Geschichte dort auf, wo er sie enden ließ, und schicke Don Quijote und Sancho Panza auf neue Abenteuer.« Nachdem Don Luis diese Tirade beendet hatte, wirkte er erschöpft.
Ich glaubte, damit wäre die Arbeit des Vormittags beendet, und machte mich daran, das Tintenfass zu verkorken, da sagte er: »Aber das schreibe ich unter einem Pseudonym, denn meine Motive sind selbstlos, es geht mir nicht um Ruhm für meine Person. Was meint Er, wie mein nom de plume lauten soll?«
Am liebsten wäre ich aus dem Raum und aus seiner Gegenwart geflohen. Seine Stimme, in der mehr Gehässigkeit als sonst mitschwang, bereitete mir körperliches Unbehagen. Er ist ein widerwärtiger Mensch, dachte ich bei mir. »Euer Gnaden, im Moment will mir kein passender Name einfallen«, antwortete ich. »Wenn Ihr mir ein wenig Zeit gebt, das Problem zu bedenken, reiche ich Euch morgen eine Liste.«
»Er kann jetzt gehen«, sagte er.
Am nächsten Vormittag, ehe ich überhaupt Gelegenheit hatte, ihm die Pseudonyme vorzulesen, die ich notiert hatte, sagte Don Luis, als ich mich an meinen üblichen Platz am Tisch setzte: »Alonso Fernández de Avellaneda – was meint Er, Pascual?« Noch bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr er fort: »Alonso, weil es ein Name sein soll, der mit dem ersten Buchstaben des Alphabets beginnt; Fernández, weil jeder zweite gemeine Mann in Spanien mit Nachnamen entweder Gutiérrez oder Fernández heißt, und Avellaneda wegen der Früchte des avellana -Baums, der Haselnüsse, die die Armen in öffentlichen Parks sammeln, um ihre Ernährung aufzubessern. Natürlich sind für Menschen wie uns avellanas nichts als Schweinefraß«, ergänzte er hämisch.
Er lächelte in sich hinein, amüsiert ob des Pseudonyms, das er ersonnen hatte. Eine geistlose Wahl, dieser Mann ist verrückt!, dachte ich. »Ich wusste,
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