Die letzte Flut
und die Arme bis zu den Ellbogen in eine Wanne voll fettiger Töpfe tauchte. Sie lief durch das allmählich dunkel werdende Haus zur Veranda auf der Hofseite. Emma hatte die ganze Zeit über den Verlust ihres Hundes gejammert, es war einfach nicht zum Aushalten. Als die Tür mit dem Fliegengitter hinter Mrs Noyes zuknallte, war der Klang so bestimmt und harsch wie ein Befehl. Er bedeutete: Lass mich allein!
Auf der Veranda war sie sicher. Oder zumindest gab ihr dieser Ort ein Gefühl von Sicherheit. Denn Mrs Noyes war klug genug zu wissen, dass es nirgends wirklich sicher war. Aber hier an diesem ruhigen, kühlen Ort konnte man einen Eindruck davon gewinnen, wie Sicherheit aussehen könnte. Dieser Ort war ihr Eigen, bot eine anheimelnde Sicht auf die Wiesen, die sich hinter dem Hof, so weit das Auge reichte, erstreckten, bis zum Wald, dessen Baumwipfel über dem unsichtbaren Tal zu schweben schienen. Für sie war dies eine Art Klause, mehr noch, eine Zelle. Wenn Noah in seiner Laube Zuflucht fand und Hannah im Obstgarten, dann war diese Veranda Mrs Noyes’ heimliches Versteck. Hier konnte sie ihre Haube abnehmen, die Schuhe abstreifen, die Verschnürung unter ihrem Busen lockern und… atmen. Endlich!
Sommerabende waren für Mrs Noyes die allerbeste Zeit. Wie ein verborgenes Laster hortete sie diese Stunde, in der sie mit der verblassenden Welt allein war, und nur ihre Katze durfte ihr dabei Gesellschaft leisten. (Wo war Emmas Hund?)
Mrs Noyes liebte es dazusitzen und die Pracht der Sonne zu betrachten, die orangefarben, wie in Trance über den Bergen hing, während die Nebelstreifen alle zusammen – jeder aus seinem eigenen Tal – hochstiegen und zu einer duftbeladenen Wolke über der Hitze verschmolzen. Die Geräusche der Vögel, die hochschwirrten, um sich aus den Insekten, die in der Luft über dem Hof schwebten, ein letztes Mahl zu bereiten; das Geschrei der Lemuren, die in den Baumwipfeln saßen und ihren Genossen weit weg in anderen Tälern jenseits des Flusses etwas zuriefen; der Lärm der Bienen und das Brüllen der Rinder – das alles waren Hymnen, die Mrs Noyes in der Abenddämmerung liebte. Und ganz unten an der Straße die Lieder der herumziehenden Arbeitstrupps – um ihr Lagerfeuer versammelte Knechte, die von der fernen Heimat sangen… Ach, herrlich war es am Abend, dachte sie – wahrlich eine Art Himmel auf Erden.
Mrs Noyes wiegte sich in ihrem Schaukelstuhl hin und her, hob ihren Ginkrug und stimmte in den Gesang ein – im Flüsterton, damit man sie ja nicht hören konnte – und grüßend winkte sie der Sonne zu. Was anderes könnte der Himmel sein, sagte sie sich, als eine Welt, so schwebend wie diese?… Nichts Festes, Solides; nichts Hartes oder Wirkliches, wogegen man prallen oder worüber man stolpern könnte; alles in angenehmer Ferne, wohlwollend – genauso wie es sich in dieser schmerzfreien Dämmerung darstellte, nur dass es für immer wäre. Und wenn nicht für immer, dann zumindest für den Rest dieser Stunde vor dem Opferritual – so lange, bis die entsetzliche Altarglocke zu läuten anfing.
Jeden Abend saß Mottyl, die Katze, im Schatten der Trompetenwinde mit Mrs Noyes in der Dämmerung, eine rundliche, stille Gestalt. Am Rande der Veranda kauernd, beobachtete sie durch den Spalt ihres guten Auges, wie die Welt in die Dunkelheit hineinglitt – das andere Auge war durch den grauen Star erblindet. Doktor Noyes machte gnadenlos Wortspiele über »S-tar fürs Tier« – obwohl er selber an der Erblindung schuld war. Oder zumindest seine Experimente. Mit Mrs Noyes fühlte sich Mottyl sicherer als mit jedem anderen Wesen, denn sie hatte ihr Leben wiederholt vor der Bedrohung durch Doktor Noyes gerettet. Aber das war in den alten Tagen, bevor Mottyls junge Kätzchen zum Gegenstand der tödlichen Aufmerksamkeit des Doktors geworden waren. Trotz ihres blattreichen arkadischen Aussehens war seine Laube nämlich nicht nur eine Laube. Sie war auch das Studierzimmer eines Alchemisten, ein Schauplatz der Magie und ein Labor – fast alles, was der Doktor daraus zu machen beliebte.
»Noch ein Experiment: Entschuldigung und danke«, sagte er, griff in Mottyls Nest und packte sich eins ihrer Kätzchen. Sie hatte keinerlei Möglichkeit, ihn daran zu hindern. Sie hatte ihn schon gebissen und gekratzt und ihm auf jede in der Macht einer Katze stehende Art Verletzungen beigebracht, doch am Ende zog sie immer den Kürzeren, ganz gleich, wo sie ihr Nest versteckt hatte oder wie sie sich
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