Dead Beautiful - Unendliche Sehnsucht: Roman (German Edition)
Die Kleinschwester
F ahles Licht schimmerte durch den Nebel, der über dem See aufstieg. Ich watete ins Wasser und schwamm darauf zu, bis sich im Dunst ein rotes Ruderboot abzeichnete. Es knarrte, als sich eine weibliche Gestalt hinauslehnte, um in die Dunkelheit zu spähen. Jetzt konnte ich erkennen, wie ihre Hände sich um die hölzerne Kante krampften. Meine Bewegungen wurden ruhig. Kleine Wellen schwappten mir ins Gesicht, als ich tiefer ins Wasser sank. Alarmiert schob sich die Frau ihre Kapuze zurück und ließ ihr stumpfes Haar um die Wangen flattern.
»Wer sind Sie?«, hallte die Stimme von Annette LaBarge über den See. Suchend glitt der Lichtkegel ihrer Taschenlampe über die Wasseroberfläche, nur wenige Zentimeter vor mir.
Ich wagte nicht, mich zu rühren; jemand hätte uns beobachten können. Niemand durfte wissen, dass ich hier war.
Ihre Lippen bebten. »Zeigen Sie sich.« Ihre Augen schienen an mir hängen zu bleiben, auch wenn ihr Blick auf kein Ziel gerichtet war.
Ich hielt den Atem an. Ein schwacher Windstoß bliesüber die Wellen und setzte ihr Boot in Bewegung. Sie knipste das Licht aus, tauchte ihre Ruder ins Wasser und legte sich in die Riemen. Rasch hatte sie der Nebel eingehüllt, bis nichts mehr zu sehen war als die Wirbel im Wasser, die sich wie zwei dunkle Bänder hinter ihr herschlängelten. Lautlos folgte ich ihrer Spur.
Dann wurde das Wasser plötzlich ruhig und ich war allein. Abwartend schwamm ich auf der Stelle und versuchte, das Geräusch ihrer Ruder zu orten, aber es war nichts zu hören. Doch da, bevor ich aufblicken konnte, fuhr plötzlich etwas auf meinen Kopf nieder. Mit einer raschen Armbewegung packte ich den Spaten in Miss LaBarges Händen und entwand sie ihrem Griff. Um uns herum spritzte das Wasser auf; die Schaufel glitt mir aus den Fingern und versank in der Tiefe des Sees.
Miss LaBarge taumelte zurück und ich nutzte die Chance, krümmte meine Finger um den hölzernen Bootsrand und versuchte, mich aus dem Wasser zu hieven. Das Boot kippte mir entgegen.
»Halt!«, brüllte sie und blinzelte in die Finsternis. »Nicht näher kommen!«
Bevor ich etwas entgegnen konnte, hörte man in der Ferne ein Plätschern. Wir erstarrten beide und blickten forschend in die Dunkelheit. Der Wind trug ein Flüstern zu uns her. Um uns herum kräuselte sich das Wasser; irgendetwas ganz in der Nähe hatte es aufgewühlt.
Miss LaBarges Augen jagten in der Nacht hin und her und hefteten sich schließlich auf mich. »Wer sind Sie?«, rief sie. »Warum sind Sie mir gefolgt?«
Um uns herum schien das Wasser stärkere Wellen zu schlagen. »Still!«, sagte ich mit gesenkter Stimme und sahzu, wie es seitlich gegen das Boot schwappte. Ich musste sie erwischen, jetzt, bevor man uns entdeckte.
Durch den Nebel drang das Geräusch eines Beinschlags, als ob etwas auf uns zuschwamm. Miss LaBarge wandte sich herum; der Schal flatterte ihr ins Gesicht. »Mit wem sind Sie gekommen? Was wollen Sie?«
»Halten Sie den Mund«, sagte ich mühsam beherrscht und griff erneut nach der Kante ihres Boots. Sie wich vor mir zurück und brachte das Holz zum Knarren. »Und Schluss mit dem Gezappel!«
Panisch hantierte sie an ihrer Taschenlampe, während ich versuchte, mich zu ihr ins Boot zu ziehen, doch meine vollgesogenen Kleider waren bleischwer. Keuchend trat sie nach meinen Knöcheln und schälte meine Finger vom Holz, bis ich den Halt verlor. Meine Arme peitschten ins Wasser, die langen Haare klebten mir im Gesicht. Mit einem letzten Anlauf wollte ich mich ins Boot wuchten, aber es schnellte von mir weg und ich glitt zurück in den See.
Als ich wieder auftauchte, richtete mir Miss LaBarge den gelben Lichtkegel direkt in die Augen.
»Sie?«, fragte sie fassungslos. Als sie mir ins Gesicht starrte, spiegelte sich der Mond in ihren Augen und verlieh ihnen einen hellen Glanz. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, war da wieder das Plätschern, viel näher als zuvor. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, ihre Züge von nackter Angst verzerrt.
Mir blieb keine Zeit zur Antwort. Miss LaBarge ließ ihre Taschenlampe in das Boot fallen und schnappte sich die Ruder. Sie ruderte wie besessen und verschwand erneut im Dunst.
Ich wischte mir über die Augen und suchte den See nach ihr ab, versuchte, ihre Position zu bestimmen. Dort ging ihr Atem, mühsam und gehetzt, im Gleichschlag mit ihren Rudern, die hinein- und heraustauchten, rein und raus, rein und raus. Immer dem Geräusch nach schob ich mich
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