Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Tasche seines Gehrocks gezogen, in die er mit
einem Bleistift Notizen machte. Dann hatte der Commissario, nachdem
seine Bestellung serviert worden war, mit dem Kellner ein langes
Gespräch im venezianischen Dialekt geführt, dem er nur
teilweise folgen konnte. Schließlich hatte er verstanden,
dass die beiden sich über die Kirschfüllung der Torte
unterhielten, die - halb aufgegessen - vor dem Commissario auf dem
Tisch stand. Das Thema schien dem Commissario am Herzen zu liegen,
denn das Gespräch wurde wenig später fortgesetzt -
diesmal mit einem dicken Signore in einem weißen Kittel, bei
dem es sich offenbar um den Konditor des Florian
handelte.
    Dieser Commissario
Tron - was war das für ein Mensch? War es überhaupt eine
gute Idee, einen Verbündeten aus ihm zu machen? Und würde
es gelingen, ihn zu gewinnen und
zugleich zu täuschen? Und schließlich: Würde
es gut sein, jemanden zum Alliierten zu
haben, der lange Gespräche über Kirschfüllungen
führte? Andererseits war dieser Mann, der Letzte seines Geschlechts, der
direkte Nachfahre Zanetto Trons. Er konnte seinen Recherchen das
familiäre Gütesiegel verleihen, auf das es vielleicht
irgendwann ankam.
    Jedenfalls war ihm der
Commissario gewogen. Aus der Korrespondenz, die sie geführt
hatten, ging hervor, dass der Mann es zu schätzen wusste,
lange vor der Fachwelt Einblicke in das byzantinische Abenteuer
seines Vorfahren nehmen zu dürfen. Flyte hatte hinsichtlich
der Tagebücher um Diskretion gebeten, aber es war nicht
auszuschließen, dass der Conte seine Dauerverlobte ins
Vertrauen ziehen würde. Vielleicht würde man im Palazzo
Balbi-Valier die angekündigte Fortsetzung des Tagebuchs sogar
mit einer gewissen Spannung erwarten. Ihm selber ging es ja mit den
Abenteuern Zanetto Trons ähnlich. Zwar standen Anfang und Ende
fest, aber niemand konnte Vorhersagen, wie sich solche Geschichten
im Detail entwickelten.
    Er nahm den Teil der
Aufzeichnungen aus der Schublade, den er heute ins Italienische
übertragen hatte. Wahrscheinlich verstand der Commissario
Latein, aber es erschien ihm überflüssig, auch in diesem
Fall das Original zu benutzen. Dann steckte er die Blätter in
einen Umschlag, warf einen letzten Blick in den Spiegel und
verließ seine
Wohnung.          
    Als er zehn Minuten
später den gestreuten Pfad in der Mitte des Canalazzo betrat,
hatte sich seine Panik wieder gelegt. An der Mündung des Rio
di San Vio kaufte er sich eine Tüte Maronen, nicht weil er
hungrig war, sondern weil er den Geruch liebte, der den
heißen Maronen entströmte. Im Grunde, dachte er, waren
die Reaktionen in Wien und in Rom, die ihm jetzt zu schaffen
machten, ein Indiz dafür, wie heiß das Eisen war, das er
ausgegraben hatte.
    Ein paar hundert
Schritte nördlich lag der Palazzo Zafon, und Holly Parker fiel
ihm ein, ihre sanften Augen und das demütigende Leben, das sie
bei Marchmain führte. Sein sauberer Onkel wurde mit jedem Tag
lästiger, und es war Zeit, dem ein Ende zu bereiten. Damit
würde sich auch das Problem Peter Lime erledigen.

15
    Der Besucher, auf den
die Principessa so gespannt war, betrat den Salon des Palazzo
Balbi-Valier mit einem scheuen Lächeln. Zwei Schritte hinter
der Tür blieb er stehen und verneigte sich, wobei ihm eine
Strähne seines blonden Haars byronmäßig in die
Stirn fiel. Er trug einen hellgrauen Gehrock, der für einen
jungen Gelehrten überraschend modisch geschnitten war. Flyte
besaß ein intelligentes Gesicht und ein hübsches Kinn
mit attraktivem Grübchen, und Tron musste zugeben, dass er das
Prädikat «gutaussehend» verdiente. Nur seine Nase
war etwas zu lang, und die wasserblauen Augen waren etwas zu
wässerig. Außerdem, fand Tron, hatte Flyte eine eckige
Art, sich zu bewegen. Schon seine Verbeugung auf der Schwelle, das
abrupte Abknicken aus der Hüfte, machte einen ungeschickten
Eindruck. Tron nahm sich vor, die Principessa später
daraufhinzuweisen - für den Fall, dass es ihr entgangen sein
sollte.
    Englischer Tee wurde
serviert, und Flytes Bericht war kurz und sachlich. Er trug ihn in
außerordentlich zungenfertigem Italienisch vor, schnell,
glatt und ohne Pause zwischen den Sätzen. Nur zweimal
unterbrach er sich, um die Tasse zum Mund zu führen - mit
abgespreiztem kleinem Finger, wie Tron amüsiert registrierte.
Flyte bestätigte, im Detail ein wenig ausführlicher, was
Tron bereits wusste: dass ihn das Gerücht nach Venedig
geführt hatte, es befänden sich Teile der Lagerlisten des
Flaggschiffes

Weitere Kostenlose Bücher